Die Kuh kratzt sich am Zaun

Bekämpfungsmöglichkeiten von Gnitzen: Was können Milchviehhalter tun?

Inga Oestereich

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6.11.2025

·

8 Min. Lesezeit

Gnitzen – oft unscheinbare, winzige Insekten – stellen für dich als Milchviehhalter eine große Bedrohung dar. Ihr Stich und damit die Übertragung gefährlicher Krankheitsviren wie Blauzunge oder EHD machen sie zu einem unsichtbaren Feind im Stall.

Die gute Nachricht: Es gibt verschiedene Ansätze zur Bekämpfung von Gnitzen. Die schlechte: Eine 100-prozentige Kontrolle ist schwierig. Erfolg bringt nur ein kombinierter Ansatz inkl. rechtzeitige Impfung der Tiere.

1. Brutplätze reduzieren (Larvenbekämpfung)

Der wichtigste Ansatz ist die Reduzierung von Brutstätten. Dies bedeutet in der Praxis:

  • Misthygiene optimieren: Misthaufen sollten regelmäßig abtransportiert werden. Wissenschaftliche Studien aus England haben gezeigt, dass das Abdecken von Misthaufen mit Planen vor Beginn der Gnitzensaison die Schlupfrate reduzieren kann – allerdings war der Effekt begrenzt, da sich die Gnitzen auf andere Brutstätten verlagerten.
  • Feuchtbereiche trocken halten: Undichte Tränken, schlecht drainierte Flächen und überlaufende Güllebehälter müssen beseitigt werden.
  • Einstreu-Management: Tiefstreubereiche häufiger ausmisten und für gute Durchtrocknung sorgen.

Erfahrungen aus den USA mit Culicoides sonorensis, die sich dort vor allem in Abwasserteichen von Milchviehbetrieben entwickelt, zeigen allerdings: Selbst die vollständige Entfernung eines Teiches hatte kaum Auswirkungen auf die lokale Gnitzenpopulation. Die Tiere fanden rasch alternative Brutstätten.

Ein älterer Bauer arbeitet in einer Scheune; im Hintergrund sind Kühe zu sehen

2. Insektizide Behandlung der Tiere

Verschiedene Wirkstoffe aus der Gruppe der Pyrethroide haben sich in Deutschland bewährt:

  • Permethrin-haltige Ohrclips: Studien zeigen eine Repellentswirkung und insektizide Wirkung von bis zu 19 Tagen bei Verwendung von zwei Ohrclips pro Rind. Die Behandlung reduziert sowohl die Anzahl anfliegender als auch stechender Gnitzen signifikant.
  • Pour-on-Präparate mit Cyfluthrin: Die Repellentswirkung hält etwa 14 Tage an, während die abtötende Wirkung auf stechende Gnitzen bis zu 23 Tage betragen kann. Wichtig ist die korrekte Anwendung mit ausreichender Dosierung auf dem Rücken der Tiere.

Der größte Nutzen liegt in der kombinierten Wirkung: Die Repellentswirkung hält Gnitzen vom Anflug ab, und die insektizide Wirkung tötet stechende Insekten ab.

3. Stallvernetzung mit insektizidbehandelten Netzen

Ein innovativer Ansatz wurde an der Freien Universität Berlin wissenschaftlich untersucht. Forscher testeten insektizidbehandelte Netze zum Schutz von Milchviehställen:

  • Teilvernetzung: In einer teilweise mit insektizidbehandelten Netzen geschützten Stalleinheit konnte eine signifikante Reduktion der Gnitzen um durchschnittlich 73,6% im Vergleich zur Kontrolle erzielt werden.
  • Komplettvernetzung: Bei vollständiger Vernetzung eines Milchviehstalls wurde eine durchschnittliche Reduktion der Gnitzen um 41,9% erreicht. Besonders beeindruckend: Die Musciden (Fliegen) wurden um 77,2% reduziert.
  • Langzeitwirkung: Die insektizide Wirkung der Netze blieb über mindestens fünf Monate bestehen. Selbst nach einem Jahr im Feld war die Wirksamkeit nur leicht reduziert.

Die Netze erwiesen sich als robust gegenüber Witterungseinflüssen und praktikabel im Einsatz. Der Ansatz ist besonders für offene Laufställe interessant, wo Gnitzen leicht eindringen können.

4. UV-Lichtfallen und Hochspannungs-Insektenvernichter

Elektrische Insektenvernichter mit UV-Licht und Hochspannungsgitter – im Volksmund "Bruzzler oder Bug-Zapper" genannt – werden seit Jahrzehnten zur Insektenbekämpfung eingesetzt. Diese Geräte locken Insekten mit ultraviolettem Licht (typischerweise 365 nm Wellenlänge) an, die dann beim Kontakt mit einem unter Hochspannung stehenden Metallgitter (2.000-4.000 Volt) getötet werden.

Funktionsweise im Stall:

Die Geräte arbeiten chemikaliefrei und können sowohl aufgehängt als auch aufgestellt werden. Für landwirtschaftliche Betriebe gibt es robuste, spritzwassergeschützte Modelle mit Wirkungsbereichen von 100 bis 850 m². Manche Hersteller bewerben diese Fallen als Lösung gegen verschiedenste Fluginsekten im Stall.

Was sagt die Wissenschaft?

Die Forschungslage ist differenziert und zeigt sowohl Potenzial als auch erhebliche Einschränkungen:

Positive Befunde:

  • Studien aus Spanien zeigen, dass Gnitzen der Gattung Culicoides durchaus auf UV-Licht reagieren. Besonders effektiv waren UV-, Blau- und Grünlicht (570 nm) gegenüber rotem oder weißem Licht.
  • Eine Studie der University of Florida von Robert Currier (2011) an Culicoides furens zeigte eine signifikante Anziehung auf ultraviolettes Licht. Currier empfahl daraufhin UV-Lichtfallen mit Luftansaugung und Sammelbeuteln als potenziell wirksames Mittel in Gebieten mit schwerem Gnitzenbefall.
  • UV-Lichtfallen werden europaweit erfolgreich für das Monitoring von Gnitzenpopulationen eingesetzt, wobei fluoreszierendes UV-Licht deutlich mehr Gnitzen fängt als LED-Varianten.

Kritische Einschränkungen:

Die größte Problematik zeigt sich bei einer genaueren Betrachtung: Was tatsächlich in den Fallen landet, entspricht oft nicht dem gewünschten Ziel.

  • Eine Langzeitstudie der University of Delaware analysierte über 13.789 getötete Insekten in sechs Bug-Zappern. Erschreckendes Ergebnis: Nur 31 Insekten (0,22%) waren stechende Mücken oder Gnitzen – über 99,75% waren nützliche oder harmlose Insekten wie Käfer, Nachtfalter und parasitische Wespen.
  • Experten der University of Florida testeten UV-Fallen über Nacht: Von 10.000 getöteten Insekten waren nur acht Stechmücken. Die Schätzung: 71 Milliarden Nicht-Zielinsekten werden jährlich allein in den USA durch Bug-Zapper vernichtet.
  • Ein weiteres Problem: Bei der Elektrokution werden Insektenteile, Bakterien und Viren als Aerosol bis zu 2 Meter weit versprüht – ein hygienisches Problem, besonders in Milchviehställen.

Warum funktioniert es bei Gnitzen nur begrenzt?

Der entscheidende Punkt: Während Gnitzen durchaus auf UV-Licht reagieren, werden sie – sobald sie Menschen oder Tiere in der Nähe wahrnehmen – viel stärker von deren Kohlendioxid (CO₂)-Ausstoß, Körperwärme und Hautgerüchen angezogen. Das Licht zieht sie zwar an, aber die Tiere im Stall sind die weitaus attraktivere Blutmahlzeit.

Vor- und Nachteile im Überblick:

Vorteile:

  • Chemikaliefrei und ohne Umweltbelastung
  • Kontinuierlicher Betrieb ohne Wartezeiten
  • Geringer Stromverbrauch bei modernen LED-Modellen
  • Einfache Installation und Wartung
  • Gut geeignet für Monitoring-Zwecke
  • Können andere lästige Stallinsekten (Fliegen, Motten) reduzieren

Nachteile:

  • Sehr geringe Selektivität – hauptsächlich werden Nutzinsekten getötet
  • Wirksamkeit gegen Gnitzen im Beisein von Nutztieren begrenzt
  • Kein ausreichender Schutz vor Krankheitsübertragung
  • Aerosol-Bildung bei Elektrokution (Hygieneproblem)
  • Im Freien in Deutschland verboten (§44 Bundesnaturschutzgesetz) zum Schutz gefährdeter Insektenarten
  • Können Gnitzen sogar in den Stallbereich locken, ohne sie effektiv zu eliminieren

Meine Einschätzung aus tierärztlicher Sicht:

UV-Hochspannungsfallen können als Ergänzung zum Monitoring der Gnitzenpopulation sinnvoll sein – Sie sehen unmittelbar, wann die Hauptaktivitätszeit beginnt. Als alleinige Bekämpfungsmaßnahme gegen Gnitzen sind sie jedoch nicht geeignet. Die wissenschaftliche Evidenz zeigt deutlich: Diese Geräte können die Gnitzenpopulation im Stall nicht wirksam reduzieren und bieten keinen verlässlichen Schutz vor der Übertragung von BTV, Schmallenberg oder EHD.

Wer dennoch UV-Fallen einsetzen möchte, sollte diese mit Ansaugvorrichtung und Fangsack wählen (statt Hochspannungsgitter), um die Aerosol-Problematik zu vermeiden.

5. Management-Maßnahmen

Einige praktische Maßnahmen können das Risiko zusätzlich senken:

  • Aufstallung während Risikozeiten: In den kritischen Dämmerungsstunden – wenn möglich – die Tiere einstallen. Dies ist allerdings in modernen Laufställen kaum umsetzbar.
  • Weidemanagement: In Hochrisikophasen sollte auf Weidehaltung während der Dämmerung verzichtet werden.


6. Impfung als wichtigste Schutzmaßnahme

Gegen die Blauzungenkrankheit stehen mittlerweile wirksame Impfstoffe zur Verfügung. Die Impfung ist derzeit die effektivste Maßnahme zum Schutz vor BTV-Infektionen. Gegen EHD wird ab November 2025 in Deutschland ein Impfstoff für Rinder verfügbar sein. Die Impfung sollte idealerweise vor Beginn der Vektorsaison im Mai abgeschlossen sein, um einen vollständigen Schutz aufzubauen.

Kuhimpfung

Mehr erfahren: Keine Angst vor der Impfung gegen die Blauzungenkrankheit

Grundlagen der Impfung von Rindern

Internationale Perspektiven

Ein Blick über den Tellerrand zeigt: Andere Länder kämpfen mit ähnlichen Problemen, haben aber teilweise unterschiedliche Ansätze entwickelt. In den USA, wo Culicoides sonorensis als Hauptvektor gilt, konzentriert man sich vor allem auf Wassermanagement in Milchviehbetrieben und auf topische Insektizidbehandlungen. Studien aus Kalifornien haben gezeigt, dass die Kontrolle von Abwasserteichen allein jedoch oft nicht ausreicht.

In Großbritannien wurden umfangreiche Untersuchungen zur Rolle von Rindermist als Brutstätte durchgeführt. Auch dort zeigte sich: Das Abdecken von Misthaufen kann helfen, ist aber keine Komplettlösung. Die Entwicklung neuer Wirkstoffe wie Fluralaner (ein Isoxazolin) wird derzeit in den USA erforscht und könnte zukünftig eine Alternative zu den etablierten Pyrethroiden bieten.

Fazit aus der Praxis

Gnitzen sind kleine Insekten mit großer Wirkung. Ihre Bekämpfung erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der Hygiene, Insektizide und – wo verfügbar – Impfungen kombiniert. Es gibt keine Wunderlösung, die alle Probleme auf einmal beseitigt. Aber durch konsequentes Handeln lässt sich das Risiko deutlich reduzieren.

In unserer täglichen Arbeit raten wir Milchviehhaltern zu folgender Strategie:

  1. Impfen Sie gegen Blauzungenkrankheit und EHD – das ist der wichtigste Schutz
  2. Optimieren Sie die Betriebshygiene – besonders im Hinblick auf Feuchtbereiche und Mist
  3. Nutzen Sie gezielte Insektizidbehandlungen während der Hochsaison (Juli bis Oktober)
  4. Erwägen Sie Stallvernetzung in besonders gefährdeten Betrieben
  5. Bleiben Sie informiert über neue Bedrohungen wie EHD

Mit der Klimaerwärmung werden uns Gnitzen und die von ihnen übertragenen Krankheiten noch lange beschäftigen. Umso wichtiger ist es, dass wir diese winzigen Plagegeister ernst nehmen und konsequent bekämpfen. Die Gesundheit unserer Tiere und die Wirtschaftlichkeit unserer Betriebe hängen davon ab.

 

Quellen

  1. Bauer, B. et al. (2009): Zur Wirksamkeit unterschiedlicher Netzprototypen zum Schutz von Milchvieh und Kälbern vor Überträgern (Gnitzen, Culicoides spp.) der Blauzungenkrankheit und anderen Lästlingsinsekten. Freie Universität Berlin, Refubium. https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/6683
  2. Liebisch, A. & Liebisch, G. (2008): BAYOFLY Pour on® (Cyfluthrin) bei der Abwehr und Bekämpfung von Gnitzen (Ceratopogonidae: Culicoides) den Überträgern des Bluetongue Virus. Der Praktische Tierarzt, vetline.de
  3. Liebisch, G. & Liebisch, A. (2008): Wirksamkeit von Auriplak Ohrclips (Permethrin) gegen Gnitzen (Culicoides) als Überträger des Bluetongue Virus bei Rindern. Der Praktische Tierarzt, vetline.de
  4. Steinke, S., Lühken, R. & Kiel, E. (2015): Auf den Spuren millimeterkleiner Blutsauger. Universität Oldenburg. https://uol.de/aktuelles/artikel/auf-den-spuren-millimeterkleiner-blutsauger-871
  5. Mehlhorn, H. (2007): Biologie und Bekämpfung von Culicoides-Mücken als Vektoren der Bluetongue bei Rindern in Deutschland. Der Praktische Tierarzt, vetline.de
  6. Friedrich-Loeffler-Institut (2025): Nationales Referenzlabor für Epizootische Hämorrhagie der Hirsche (EHD). https://www.fli.de/de/institute/institut-fuer-virusdiagnostik-ivd/referenzlabore/nrl-fuer-ehd/
  7. Melchers, V. (2025): Epizootische Hämorrhagie der Hirsche (EHD) beim Rind. vetline.de
  8. Landwirtschaftskammer Oberösterreich: Bremsen, Gnitzen und Co. https://ooe.lko.at/bremsen-gnitzen-und-co+2400+4257709
  9. Carpenter, S. et al. (2008): Control techniques for Culicoides biting midges and their application in the U.K. and northwestern Palaearctic. Medical and Veterinary Entomology, 22(3), 175-187
  10. Mullens, B.A. et al. (2000): Feeding and survival of Culicoides sonorensis on cattle treated with permethrin or pirimiphos-methyl. Journal of the American Mosquito Control Association, 16(3), 256-263
  11. Sanders, C.J. et al. (2014): Does covering of farm-associated Culicoides larval habitat reduce adult populations in the United Kingdom? Veterinary Parasitology, 201(1-2), 137-145
  12. Lawson, B.E. & McDermott, E.G. (2023): Topical, contact, and oral susceptibility of adult Culicoides biting midges to fluralaner. Parasites & Vectors, 16(1), 291
  13. Currier, R.W. (2011): Response of Culicoides furens (Poey) to Ultraviolet and Visual Light Sources in a Nocturnal Environment. University of Florida. https://www.researchgate.net/publication/235341076
  14. Frick, T.B. & Tallamy, D.W. (1996): Density and diversity of non-target insects killed by suburban electric insect traps. Entomological News, 107(2), 77-82
  15. Day, J. (1997): Bug zappers are useless for controlling mosquitoes. University of Florida, Institute of Food and Agricultural Sciences
  16. González, M., López, S. & Goldarazena, A. (2016): Comparison of different light sources for trapping Culicoides biting midges, mosquitoes and other dipterans. Parasites & Vectors, 9, 418 

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