Biosicherheit in der Rinderhaltung: Die fünf häufigsten Desinfektionsfehler – und wie sie vermieden werden

Dr. Julia Blumenberg

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12.11.2025

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5 Min. Lesezeit

Warum dieses Thema so wichtig ist

Infektionserreger in der Rinderhaltung verursachen Produktionsausfälle, beeinträchtigen die Tiergesundheit und ziehen erheblichen personellen und finanziellen Aufwand nach sich. Die Desinfektion ist ein zentrales Werkzeug der Biosicherheit — aber nur, wenn sie richtig angewendet wird. Deshalb lohnt es sich, fünf wiederkehrende Fehler genau anzuschauen und einfache Gegenmaßnahmen zu implementieren.

Fehler 1 — Verdünnungs- und Konzentrationsfehler (Dosierungsfehler)

Eine zu geringe Konzentration des Desinfektionsmittels kann dazu führen, dass die angestrebte Keimreduktion nicht erreicht wird. Mikroorganismen, wie Viren, Bakterien und Pilze können überleben, wodurch die Desinfektion im Stall wirkungslos bleibt (Rhee et al., 2023). Umgekehrt bedeutet eine zu hohe Konzentration nicht automatisch mehr Schutz: Sie verschwendet wertvolles Produkt, belastet die Umwelt unnötig und kann empfindliche Oberflächen, Stiefel oder Geräte angreifen.

In der Praxis treten diese Probleme häufig durch Mess- und Mischfehler auf. Dazu zählen ungeeichte Messbecher, ungenaue Dosierhilfen, falsches Ablesen oder die Verwendung ungeeigneter Wassermengen. Bereits kleine Abweichungen bei der Herstellung der Lösung können die Wirksamkeit des Desinfektionsmittels erheblich beeinflussen.

Praxis-Tipps:

  • Geeichte Messbecher oder Dosierpumpen nutzen
  • Herstellerangaben befolgen und protokollieren: Produkt, Chargen-Nr., Mischdatum, Außentemperatur
  • Orientierung an der DVG-Desinfektionsmittelliste für geeignete Produkte und deren Gebrauchskonzentrationen:
  • Bei Nutzung von Stiefeldesinfektionswannen: regelmäßige Erneuerung des Gemischs, sodass die Konzentration stets konstant bleibt

Fehler 2 — Kältefehler (Temperaturabhängigkeit)

Viele Desinfektionsmittel verlieren bei niedrigen Temperaturen erheblich an Aktivität. Chemische Reaktionen verlaufen bei Kälte langsamer, sodass die Reaktionsgeschwindigkeit der Wirkstoffe abnimmt (Makovska et al., 2025). Besonders in kalten Stallbereichen — wie unbeheizten Anbauten, Außenflächen oder während der Wintermonate — wird dieser Effekt häufig übersehen. Das Ergebnis: unzureichend desinfizierte Flächen und ein erhöhtes Risiko für die Übertragung von Krankheitserregern.

Beispielsweise bestimmte quaternäre Ammoniumverbindungen (QAV), Aldehyde und Organische Säuren wie Ameisensäure sind bei niedrigen Temperaturen deutlich weniger wirksam. Teilweise muss die Konzentration verdoppelt werden; oder bei Temperaturen <5°C gänzlich ein Wirkstoffwechsel her. Andere Wirkstoffklassen wie Wasserstoffperoxid, und Peressigsäure zeigen hingegen eine höhere Temperaturstabilität. Dies bedeutet, dass bei der Auswahl des Desinfektionsmittels unbedingt die Umgebungstemperatur berücksichtigt werden muss. Darüber hinaus ist es in der Praxis entscheidend, die Einwirkzeiten entsprechend anzupassen: Bei Temperaturen unterhalb der empfohlenen Temperatur-Bedingungen sollte die Einwirkzeit verlängert werden, um die gleiche Wirksamkeit zu erzielen. Die meisten Hersteller geben dafür konkrete Anpassungstabellen an.

Praxis-Tipps:

  • Herstellerangaben zur Temperatureignung beachten
  • Bei Temperaturen <15°C ggf. die Einwirkzeit und Konzentration anpassen
  • Bei Anwendung die Temperatur protokollieren

Fehler 3 — Eiweißfehler (Proteininterferenz durch Blut, Kot, Milchreste)

Organische Rückstände binden oder neutralisieren viele Desinfektionsmittel. Blut, Milchreste und Kot wirken wie ein chemischer „Puffer“, der Wirkstoffe inaktiviert. Die Wirkung vieler Wirkstoffklassen (Alkohole, Aldehyde, Chlor, Jod, Wasserstoffperoxid und Peressigsäure) wird blockiert, wenn diese Mittel mit „Schmutz“ in Kontakt kommen (Papp et al., 2020). Aus diesem Grund führt eine Desinfektion ohne vorherige gründliche Entfernung organischer Rückstände häufig nicht zum gewünschten Effekt – die Keime werden nicht wie gewünscht reduziert.

Frau putzt auf einem Bauernhof

Für die Stallhygiene bedeutet dies, dass gründliches Vorreinigen – Abkratzen, Abspülen oder Vorwaschen – vor jeder Desinfektion unverzichtbar ist. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Desinfektionsmittel tatsächlich mit den Mikroorganismen in Kontakt kommt und seine volle Wirkung entfalten kann. Besonders bei stark verschmutzten Bereichen wie Melkständen, Liegeboxen oder Futterschalen ist dieser Schritt entscheidend.

Praxis-Tipps:

  • Gründliche Entfernung von Blut-/Milch-/Kotresten vor Desinfektion (mechanisches Entfernen, Heißwasser/Einweichen mit geeignetem Reiniger)
  • Den Reinigungsstatus dokumentieren (z. B. Sichtprüfung bei risikoreichen Bereichen)

Fehler 4 — Seifen- und Tensid-Fehler

Wenn nach der Reinigung Rückstände von Reinigungsmitteln auf Oberflächen verbleiben, kann das nachfolgende Desinfektionsmittel nicht mehr richtig wirken – die antimikrobielle Aktivität wird stark reduziert oder vollständig aufgehoben (Kamal et al., 2019). In der Praxis tritt dieses Problem häufig auf, wenn Flächen nach dem Reinigen nicht gründlich genug mit sauberem Wasser nachgespült oder nicht ausreichend getrocknet werden.

Besonders betroffen sind glatte, schwer zugängliche oder poröse Oberflächen, an denen sich Reinigungsmittelreste anlagern können. Daher gilt als Grundregel: Reinigung und Desinfektion müssen klar voneinander getrennt sein. Nach der Reinigung sollte immer gründlich mit Wasser nachgespült werden, bevor das Desinfektionsmittel aufgetragen wird.

Praxis-Tipps:

  • Reiniger und Desinfektionsmittel nicht mischen
  • Nach Reinigung gründlich spülen und trocknen lassen, erst dann desinfizieren

Fehler 5 — Anwendungsfehler: Kontaktzeit, Flächenabdeckung, Applikationstechnik

Zu kurze Einwirkzeiten, ungleichmäßiges Aufsprühen oder eine zu geringe Auftragsmenge gehören zu den häufigsten Ursachen für eine unzureichende Desinfektionswirkung. Selbst hochwirksame Desinfektionsmittel können ihre volle Wirkung nur dann entfalten, wenn die Oberfläche vollständig benetzt und die empfohlene Kontaktzeit strikt eingehalten wird (Makovska et al., 2025). Insbesondere in schwer zugänglichen Bereichen wie Ritzen, Fugen, Spalten oder an rauen, porösen Oberflächen.

In der Praxis ist dies besonders relevant, wenn Sprühgeräte nicht korrekt eingestellt oder Flächen zu schnell bearbeitet werden. Auch ungleichmäßige Benetzung durch verschmutzte oder verstopfte Düsen, zu hohen Arbeitsdruck oder ungeeignete Applikatoren kann die Effektivität mindern. Deshalb ist es wichtig, Geräte regelmäßig zu warten, Düsen auf Sprühbild und Fördermenge zu prüfen und die empfohlenen Einwirkzeiten der Hersteller konsequent einzuhalten.

Praxis-Tipps:

  • Die vorgesehene Kontaktzeit beachten (nicht abwischen, bevor die Zeit abgelaufen ist)
  • Sprühtechnik trainieren (feiner, gleichmäßiger Nebel vs. grobe Tropfen) und die richtige Düsenwahl
  • Bei Hochdruck-Reinigern: Sichtkontrolle von Schläuchen, Dichtungen und Düsen auf Risse oder Ablagerungen
  • Für poröse oder stark unebene Flächen: ggf. erneutes Auftragen oder alternative Verfahren (Schaum, Einlegen)

Checkliste für den Stallalltag

  1. Reinigung abgeschlossen? (keine sichtbaren Verschmutzungen)
  2. Klares Wasser nachgespült? (keine Reinigungsmittelreste)
  3. Umgebungstemperatur notiert?
  4. Produkt korrekt dosiert? (geeichte Messhilfen, Herstellerangabe)
  5. Einwirkzeit eingehalten?
  6. Dokumentation geführt? (Datum, Produkt, Konzentration, Temperatur, Verantwortliche)

Fazit — kurz und handlungsorientiert

Desinfektion in der Rinderhaltung ist kein „Set-and-forget“. Die fünf Fehler (Konzentration, Kälte, Eiweiß, Seifen/Tenside, Applikation) sind wissenschaftlich belegt und in der Praxis häufige Ursachen für unzureichende Desinfektionsergebnisse. Mit klaren Arbeitsanweisungen, geeichter Dosierung, Dokumentation, Beachtung der Hersteller-Empfehlungen und einfachen Checks lässt sich das Risiko deutlich reduzieren — oft ohne große Mehrkosten.

 

Quellen:

1 Kamal, M. A., Rahman, M. T., Akter, S., Rahman, M. B., & Nazir, K. H. M. N. H. (2019). Evaluation of the efficacy of commonly used disinfectants in cattle operations. Veterinary World, 12(5), 644–650.

2 Makovska, I., Biebaut, E., Dhaka, P., Korniienko, L., Jerab, J.G., Courtens, L., Chantziaras, I. und Dewulf, J. (2025). Methods for assessing efficacy of cleaning and disinfection in livestock farms: a narrative review. Frontiers in Veterinary Science. 12:1581217.

3 Papp, M., Exner, M., & Kramer, A. (2020). Untersuchung zur Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln – Einfluss organischer Belastung und Oberflächenbeschaffenheit. Robert Koch-Institut, Forschungsberichte des RKI, Band 24.

4 Rhee, C.H., Lee, H.-S., Yun, H.-J., Lee, G.-H., Kim, S.-J., Song, S., Lee, M.-H., Her, M. und Jeong W. (2023). Chemical stability of active ingredients in diluted veterinary disinfectant solutions under simulated storage conditions. Frontiers in Chemistry. 11:1204477. 

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