große Kuh auf dem Gras

305 Tage Laktationsstandard: Ausgedient oder up to date?

Gast Autor Ceva Rind

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23.11.2023

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5 Min. Lesezeit

Was ist, wenn die Kuh noch viel Milch gibt, man sie aber jetzt eigentlich trockenstellen muss? Viele Strategien wurden entwickelt, um mit dieser Problematik umzugehen. Denn ein tragendes Tier benötigt eine entsprechende Trockenstehzeit. Dennoch stellt sich die Frage: Ist die seit Jahrzehnten praktizierte Regel von 305 Tagen Laktation und 60 Tagen Trockenstehzeit überhaupt sinnvoll? Schließlich ist sie doch eine ziemlich willkürliche Anpassung der Milchproduktion der Kühe an den menschlichen Kalender, um den wirtschaftlichen Betrieb zu erleichtern und die Milchleistung zu maximieren. Kann es nicht also sinnvoll sein bei hoher Leistung Tiere grundsätzlich länger zu melken und später zu besamen?

Die Regel von der Zielvorgabe eines Kalbeintervalls bei Milchkühen von einem Jahr hat sich als Standard etabliert. Doch heute kann die moderne Milchproduktion auch flexibler gestaltet werden und längere Laktationszeiten können sinnvoll sein. Neue Studienergebnisse von Forschern der niederländischen Wageningen University and Research1 und der dänischen Aarhus University2 haben die Vor- und Nachteile einer längeren Laktation untersucht.

Welche Vorteile hätte eine längere Laktation?

In den Studien konnten verschiedene Argumente identifiziert werden, die eine längere Laktationszeit der Kühe sinnvoll begründen können:
  • Weniger Risikophasen
    Verlängerte Laktationsperioden, führen zu weniger Transitphasen im Leben einer Kuh, also den allgemein riskantesten Zeiten für die Kuhgesundheit.
  • Weniger überzählige Kälber
    Durch den Einsatz von gesextem Sperma und genomischer Selektion kann die Nachzucht effektiver geplant werden, sodass weniger Kälber benötigt werden.
  • Verbesserte Fruchtbarkeit
    Eine verlängerte freiwillige Wartezeit vor der Besamung verbessert eventuell die Fruchtbarkeit, da die Kühe die Chance erhalten eine positive Energiebilanz herzustellen. Mehr zum Thema Fruchtbarkeit bei der Kuh lesen sie hier.
  • Geringerer Arbeitsaufwand
    Längere Laktationsperioden reduzieren den Arbeitsaufwand im Hinblick auf Trockenstellen, Kalbungen und Erkrankungsbehandlung.

der Kuhmelkanlage im Bauernhof

Was wären die Nachteile einer längeren Laktationszeit?

Andererseits kann eine längere Laktationszeit auch nachteilige Auswirkungen mit sich bringen. Auch hier teilen die Studien Erkenntnisse, die berücksichtigt werden sollten, wenn man überlegt, im Betrieb die Laktationsdauer zu verändern:

  • Gefahr der Überkonditionierung
    Einerseits können die Kühe während der längeren Laktation auch länger Milch produzieren, andererseits birgt insbesondere die späte Laktation mit niedriger Leistung und oft hoher Energiedichte des Futters das Risiko von Verfettung vor der Kalbung. Diese kann im Anschluss an die Kalbung zu einer Reihe von Gesundheit- und Fruchtbarkeitsstörungen führen. Mehr zum Zusammenhang zwischen Körperkondition und Gesundheit lesen sie hier.
  • Weniger Fleischproduktion
    Durch weniger geborene Kälber, reduziert sich auf Herdenebene insgesamt die jährliche Fleischproduktion.
  • Genetisch nachteilige Herdenentwicklung
    Wenn vor allem die leistungsstarken Kühe für die längere Laktationszeit ausgewählt werden, produzieren gerade diese Tiere weniger Nachkommen. Dies könnte sich langfristig auf den genetischen Fortschritt der gesamten Herde auswirken. Dieser Nachteil könnte aber durch fortschrittliche Reproduktionstechnik ausgeglichen werden, zum Beispiel durch Eizellenentnahme und Embryotransfer.

Unterschiedliche Auswirkungen auf erstlaktierende Färsen und mehrkalbige Kühe

In beiden Studien konnte beobachtet werden, dass die Persistenz bei erstlaktierenden Tieren besser ist als bei mehrkalbigen Kühen. Eine verlängerte Laktationsdauer scheint daher besonders für erstlaktierende Tiere vorteilhafter im Hinblick auf Milchertrag und Wirtschaftlichkeit.

Kuh auf grasigem Feld

Welche Möglichkeiten zur Umstellung der Laktationszeit gibt es?

Zieht man die Umstellung auf eine längere Laktationsdauer in Erwägung, gibt es verschiedene Möglichkeiten, dies umzusetzen. Eine Umstellung kann sowohl für einzelne Tiere als auch auf Herdenebene erfolgen:

  • Umsetzung auf Herdenebene
    In diesem Fall wird die längere Laktation für alle Tiere der Herde umgesetzt. Nach der Umstellung können sich dann für die gesamte Herde wieder einheitliche Abläufe etablieren. Hierbei ist allerdings insbesondere für spätlaktierende Tiere ein gutes Management nötig, um die oben genannten Risiken gering zu halten.
  • Verlängerung für erstgebärende Färsen
    Da die Verlängerung der Laktationszeit vor allem für erstlaktierende Tiere vorteilhaft ist, kann man die Veränderung auf diese Tiergruppe beschränken. Kühe ab der zweiten Laktation behalten das ursprüngliche Kalbeintervall bei.
  • Laktationssteuerung für Einzeltiere
    Über die Nutzung Kuh-individueller Daten für jedes Einzeltier den richtigen Zeitpunkt für Besamung und Laktationsdauer festlegen. Dies ist jedoch aufwändig und erfordert eine permanente und genaue Datenerhebung zu allen Tieren der Herde. Trotzdem könnte dies in Zukunft die entscheidende Strategie sein, um die Vorteile der verlängerten Laktation optimal auszunutzen und die nachteiligen Auswirkungen zu minimieren.

Die Verlängerung der Laktationsdauer birgt Chancen und Risiken, welche es gilt, genau abzuwägen. Viele Einflussfaktoren sind beteiligt, und die Datenlage auf Auswirkungen besonders für nachfolgende Laktationen ist bisher gering. Zukünftig bedarf es viel weiterer Forschung, bis man zu diesem Thema eindeutige und allgemeingültige Empfehlungen geben kann.

 

Quellen:

1 Extending lactation length: consequences for cow, calf, and farmer

2 Review: extended lactation in dairy cattle

3 Will the 305-Day Lactation Standard Go the Way of the Dinosaur?

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