Kühe im Stall mit Sonnenaufgang

NO STRESS im Stall!

Gast Autor Ceva Rind

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6.04.2021

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6 Min. Lesezeit

Wir freuen uns sehr, dass Dr. med. vet. Toschi Kaufmann, Fachtierärztin für Zuchthygiene und Biotechnologie der Fortpflanzung und CowSignals Trainerin diesen spannenden Artikel zum Thema Stressoren im Kuhstall geschrieben hat. 


Braunes Milchvieh leckt Kameralinse

 

Tierwohl, das ist das Schlagwort, das in den letzten Jahren im Rahmen der Tierhaltung immer mehr in den Fokus gerückt ist. Ein wesentlicher Aspekt in der Bewertung des Wohlergehens von Tieren ist dabei die Beurteilung ihrer Stressbelastung. 

Auch die Wissenschaft hat sich in den vergangenen Jahren daran gemacht zu ergründen, was Stress für Tiere bedeutet, wie wir den Schweregrad bewerten können, was geeignete Indikatoren für die Bewertung von Stress sein können und welche Folgen von Stress wir bei Tieren finden können. Bevor wir aber konkret über Stressoren im Kuhstall nachdenken: 

Was ist denn überhaupt Stress? Gibt es eine sinnvolle Definition? 

Wissenschaftlich Hans Selye (1950) hat Stress auf physiologischer und biochemischer Ebene beschrieben. Letztlich geht es um die Aktivierung zweier Haupt-Körpersysteme. Das System, das die hormonelle Seite übernimmt ist die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, kurz der HPA-Achse oder auch Stressachse genannt. Es handelt sich dabei um eine komplexe Abfolge von direkten Einflüssen und Feedback-Schleifen zwischen drei Hormondrüsen, die von einem Stressor aktiviert werden. Am Ende dieser Achse steht das Hormon Cortisol, dass wir als Hinweis auf Stress im Tier im Blut messen können. So weit so gut. Allerdings, die HPA-Achse reguliert viele Prozesse im Körper mit, darunter solch essentielle Prozesse wie die Verdauung, die Immunität und eben auch die Fruchtbarkeit.
Seit den Forschungsergebnissen von Selye hat sich die Definition von Stress deutlich weiterentwickelt. Eine Expertengruppe um Jaap M. Koolhaas machte sich an die Verfeinerung des Begriffes Stress. Stress ist jetzt nicht mehr die pure Aktivierung der HPA-Achse. Der Körper ist ein Wunderwerk der Effizienz. Die HPA-Achse nutzt der Körper auch dafür, andere Prozesse zu regulieren als eben Stress, der ja negative Effekte auf den Organismus hat. Als Beispiel sei hier die Brunst genannt, ein absolut positiver Prozess im Zyklus des weiblichen Rindes. Da sind wir uns sicher einig. Eine Studie aus dem IFN (aus der Dissertation von Dr. Fritz Beyer), in der wir das Hormon Cortisol im Blut von Rindern gemessen haben, unterstützt Koolhaas´ Auffassung vom Unterschied zwischen Stress vs. Aktivierung der Stress-Achse. Cortisol ist gemeinhin als Stress-Hormon bekannt, wird aber eben auch bei (positiver) Aktivierung der HPA-Achse ausgeschüttet. Unsere Messungen ergaben, dass unsere untersuchten Tiere während der Brunst höhere Cortisol Spiegel aufwiesen als in anderen Zyklusphasen.  

No Stress im Stall Abbildung Zyklusstand
Die Brunst zum Beispiel ist für die Kuh also kein Stressor, auch wenn wir ein brünstiges Tier bisweilen als solches empfinden, sondern stellt lediglich einen Stimulus dar. Die Brunst stimuliert die HPA-Achse.
Ein Stressor muss nach Koolhaas (2011) zwei Grundeigenschaften vereinen: die Unvorhersehbarkeit und die Unbeeinflussbarkeit. 
Bekannte wichtige Stressoren für Tiere sind unter anderem: Schmerz, Hitzestress, Umgruppierung - die Sozialisierung in einer neuen Gruppe und die Mensch-Tier-Interaktion.

Was bedeuten diese wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Praxis?

Dafür nehmen wir uns einmal das Beispiel „Kühe treiben“ vor.
Eine Person kommt in die Gruppe und beginnt die Herde zu treiben. Es ist für die einzelne Kuh weder vorhersehbar wann und warum die Person die Gruppe betritt, noch ist die folgende Handlung, das Treiben, für das Tier beeinflussbar. Treiben erfüllt also grundsätzlich die Definition eines Stressors.
Jetzt hat vermutlich jeder Situationen vor dem inneren Auge bei denen „Treiben“ dem Gefühl nach mehr oder weniger Stress für Tier und Mensch bedeutet. Und so ist es. Jeder Stressor für sich, kann ein breites Spektrum an Stressreaktionen beim Tier hervorrufen. Kurz für unser Beispiel: Die Kuh kann mehr oder weniger gestresst sein vom Treiben. 

Tiere im Kuhstall beim Laufen

 

Wovon hängt die Intensität der Stressreaktion ab? 

Vom Grad der Unvorhersehbarkeit und Unbeeinflussbarkeit. Für unser Beispiel „das Treiben“ bedeutet das praktisch: Dadurch, dass die Tiere wissen, dass sie z.B. jeden Tag zur selben Uhrzeit, denselben Treibeweg und vielleicht sogar von derselben Person zum Melkstand getrieben werden, nimmt die Unvorhersehbarkeit ab. Die Stressreaktion nimmt ab. Aber ich kann auch an der Unbeeinflussbarkeits-Schraube drehen. Wenn ich meine Tiere mit Kuh-Verstand (nach den Grundregeln des Low-Stress-Stockmanship) treibe, nämlich so, dass die Kuh begreifen kann, was ich von ihr möchte und es auch in ihren Möglichkeiten liegt, meinem Wünschen zu entsprechen. Ich denke dabei sofort an die Situation beim Treiben, wenn der/die Treibende auf die ihm/ihr am nächsten laufende Kuh, sprich: die Kuh am Ende der Herde, „erhöhten Druck ausübt“, die Kuh aber gar keine Möglichkeit hat, schneller zu gehen, weil vor ihr schlicht kein Platz ist. Diese Situation bedeutet eine deutlich erhöhte Stressreaktion für die hinterste Kuh. Und nicht nur für diese Kuh, auch für die Nachbarinnen, denn sie nehmen auch wahr, auf welche Weise hier kommuniziert wird. Für sie nämlich im Bereich des Unmöglichen. Das ist für die Kühe eine Vorhersehbare Situation, die sie aber unter keinen Umständen beeinflussen können. Ziel ist es also den Grad der Unvorhersehbarkeit und Unbeeinflussbarkeit zu senken. Darüber hinaus ist die Stressreaktion von der Intensität des Stressors abhängig. Je lebensbedrohlicher er vom Tier wahrgenommen wird desto stärker wirkt der Stressor. So kann das Treiben zum Melkstand ruhig erfolgen und in einem Tempo, welches der Laufgeschwindigkeit von Kühen entspricht. Wenn ich das Tempo, das ich von den Kühen verlange anziehe, erhöhe ich die Intensität des Stressors „Treiben“. Ich kann auch noch eine Schüppe oben drauf legen: Treiben mit Lärm. - Achtung! Kühe haben ein viel feineres Gehör als wir Menschen. - Oder noch intensiver: Treiben mit Lärm über einen Hindernis-Parcours. So nehmen Kühe viele Treibewege wahr. 
Je nach Vorgehen liegt es folglich in meiner Hand die Stressreaktion für die Tiere geringer oder stärker ausfallen zu lassen. In diesem Zusammenhang sollten wir nicht aus den Augen verlieren, dass im Idealfall ein Großteil der Tiere, die wir täglich treiben, trächtig ist.

Kühe im Stall mit Stroh am Fressgitter
Um die Intensität der Stressreaktion minimieren zu können, brauche ich ein solides Verständnis darüber wie eine Kuh, ihre Umgebung wahrnimmt.
Wie oben schon angedeutet, können Stressoren auch zusammenwirken. So kann es sein, dass ein Stressor, so lange er allein auftritt, bei einer Kuh eine geringe Stressreaktion auslöst und die Kuh sich nach Ende des Einwirkens schnell wieder erholt/beruhigt. Der gleiche Stressor kann bei derselben Kuh aber auch zu einer wesentlich stärkeren Stressreaktion führen, wenn er im Zusammenhang mit weiteren Stressoren auftritt.
Bezogen auf unsere getriebene Kuh kann man sich das so vorstellen: Treiben wir die Kuh schneller, als sie sich unter den gegebenen Bedingungen sicher bewegen kann, führt dies allein genommen zu einer Stressreaktion, welche die Kuh durchaus kompensieren kann. Sie kann sich von der Stressreaktion auf den Stressor Treiben verhältnismäßig schnell erholen. Wird der Stress zusätzlich durch Gebrüll und Schläge und vielleicht noch eine zusätzliche schmerzhafte Klauenerkrankung erhöht, dann potenzieren sich die Stressoren. Jetzt dauert es sehr lange, bis die Kuh sich von meiner Treibe-Aktion erholt.
Als letzte Eigenschaft von Stressoren, die einen deutlichen Einfluss auf die Stressreaktion von Tieren hat, möchte ich die Vorerfahrungen nennen. 

Bleiben wir bei unserem Treibe-Beispiel. Tiere aus einer Herde, bei der das Treiben eher intensiv stressig durchgeführt wird, werden auch in anderen Situationen mit dem Menschen mehr Stress erleben als Tiere, welche einen ruhigen Umgang gewöhnt sind. Die gute Nachricht ist, dass wir es in der Hand haben, die Stressbelastung von Kühen durch unseren täglichen Umgang auch in anderen neuen Situationen positiv zu beeinflussen. 
Nehmen wir an, eine Kuh steht zur künstlichen Besamung an. Der Vorgang an sich wird für sie weniger Stress bedeuten, wenn der Umgang mit Menschen für sie im Alltag stress-arm von statten geht. 

Eine Herde mit einem geringen Stresslevel birgt viele Vorteile für Mensch und Tier. 
Studienergebnisse zeigen, dass die Senkung von Stress Vorteilhaft für die Leistungsbereitschaft, die Krankheitsresistenz und die Fruchtbarkeit von Tieren ist. Sie erinnern sich, die Stressachse ist die  Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren Achse. Vergleichen wir diese mit dem Hormonsystem, welches die Fruchtbarkeit reguliert, die Hypothalamus-Hypophyse-Eierstock Achse, fällt auf wie eng diese beiden Systeme verzahnt sind. 
Studien konnten zeigen, dass sowohl akuter als auch chronischer Stress die Hormonellen Abläufe während des Zyklus stören können und so einen negativen Einfluss auf die Fruchtbarkeit haben (Dobson et al. 2000, Phogat et al. 1997). Dobson et al. (2001) resümieren: 
“Ein Tier kann über verschiedene Wege seine Reproduktion während ungünstiger Situationen pausieren.“ 

Im alltäglichen Umgang lassen sich stressige Situationen für Kühe nicht vermeiden, aber wir können versuchen mit Rücksicht auf die genannten Einflussgrößen die Stressreaktion gering zu halten. Damit können wir sogar die Fruchtbarkeitsleistung positiv beeinflussen. 

Und nicht zuletzt erhöht der Umgang mit ausgeglichenen Tieren auch die Freude an der eigenen Arbeit.

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