Tierarzt mit einer Spritze in einem Stall mit Schafen

Blauzungenkrankheit – So erkennen Sie die Symptome der Seuche BTV beim Schaf

Inga Oestereich

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26.11.2024

·

8 Min. Lesezeit

Morgens um 6 Uhr klingelt mein Notfall-Handy. Ich falle vor Schreck fast aus dem Bett. „Du musst sofort kommen! 2 frisch geborene Lämmer sind tot und ganz viele Tiere sind total benommen. Ich brauche hier dringend einen Tierarzt!“. Schnell springe ich aus dem Bett, schnappe mir meine Tasche und mach mich auf den Weg in Richtung Deich. Das hört sich gar nicht gut an. Ich habe so einen Verdacht und hoffe inständig, dass er sich nicht bestätigt.

Kaum angekommen, sprintet mir schon der Schäfer entgegen und bringt mich zu seiner Herde. Ich sehe die apathischen Tiere mit den geschwollenen Köpfen schon von Weitem. Und auch die Gnitzenschwärme, die darüber schwirren. Nach vielen Jahren der Ruhe ist es so weit, die Blauzungenkrankheit hat auch uns in Deutschland erreicht.

Wiederkäuer – insbesondere Schafe – trifft die Blauzungenkrankheit schwer mit Letalitätsraten von über 70%9

Mit steigenden Temperaturen – dem Klimawandel sei Dank – schwirren sie überall herum und verbreiten die Seuche: die kleinen blutsaugenden Arthropoden, die Gnitzen, auch Bartmücken genannt. Als Virusvektor übertragen sie durch ihren Stich BTV-3, ein Virus, das die gefürchtete Blauzungenkrankheit auslöst. Alle Wiederkäuer sind davon betroffen, Schaf, Ziege, Rind oder auch Neuweltkamele wie Alpaka und Lama. Und diese meldepflichtige Tierseuche hat es in sich, besonders für unsere wolligen Freunde!

Welche Auswirkungen BTV-3 bei Rindern hat, lesen Sie in unserem Artikel Blauzungenkrankheit – So erkennen Sie die Symptome der Seuche BTV beim Rind.

Eine gewaltige Infektionswelle zieht von Westen, aus den Niederlanden kommend, über Deutschland hinweg. Im Tierseucheninformationssystems (TSIS)1 kann man erkennen, dass bis jetzt (Nov. 2024) so gut wie alle Gebiete in Deutschland betroffen sind. Es ist davon auszugehen, dass die Seuche auch in den nächsten Jahren weiter zirkulieren wird1. Besonders bei Schafen geht die Krankheit mit erheblichen klinischen Symptomen und wirtschaftlichen Verlusten einher. So wurde im Jahr 2023 in den Niederlanden eine Übersterblichkeit von über 35.000 Schafe beobachtet, und das allein im September/Oktober8!

Wie können Sie einen BTV-3-Ausbruch im Bestand erkennen? Wir haben für Sie eine Bildübersicht mit milden, mittleren und schweren Krankheitsverläufen dokumentiert.

Klinische Symptome der Blauzungenkrankheit beim Schaf

Alle Wiederkäuer, ob Rind, Ziege oder auch Kameliden können an der Blauzungenkrankheit erkranken. Das Schaf trifft es aber leider besonders schwer. Natürlich kommt einem beim Namen Blauzungenkrankheit zuerst eine blaue Zunge als klinisches Anzeichen in den Sinn, die jedoch nur bei einigen infizierten Tieren zu beobachten ist. Nach einer Inkubationszeit von ungefähr 7 Tagen zeigen sich folgende Symptome2, 4:

  • Fieber (> 40°C) über mehrere Tage mit Schwitzen
  • Abgeschlagenheit, Benommenheit und Fressunlust
  • Starke Durchblutung (Hyperämie) und Ödeme an Körperstellen ohne Wolle, sowie Nasen-, Lippen, Mund- und Kehlkopfschleimhaut
  • Rötung am gesamten Körper
  • Blaufärbung der Zunge und/oder Lippen
  • Geschwüre am Maul
  • Schwellungen von Gesicht, Lippen und Zunge
  • Atem- und Trinkbeschwerden, wenn die Zunge anschwillt
  • Sabbern, da Speichel nicht mehr abgeschluckt werden kann
  • Schleimig-eitriger Nasenausfluss mit Krustenbildung
  • Langanhaltende schwere Lahmheit, mit roten, geschwollenen Kronrändern und geschwollenen Beinen, vermehrtes Liegen
  • Rückgang der Milchleistung (bei milchliefernden Tieren)
  • Entzündungen des Hodens und damit temporäre Unfruchtbarkeit der Böcke durch das hohe Fieber möglich
  • Aborte oder Missbildungen bei Lämmern

Nach 10 bis 14 Tagen ist der ganze Spuk wieder vorbei, wenn das Schaf es überlebt hat. Jedoch gibt es auch nach der allgemeinen Genesung der kranken Tiere weitere Symptome.

Symptome von BTV-3 nach Überstehen der Krankheit

  • Wollverlust nach 3-6 Wochen nach Krankheitsausbruch durch Entzündung der Haut6
  • (Peri-)Arthritis und Abwurf von Klauenhorn9
  • Steifheit als Folge von Muskeldegeneration9

Ich habe in einer aktuellen Studie über den BTV-3 Ausbruch in den Niederlanden gelesen, dass von einer Schafherde ca. 1-14% der Tiere erkranken und Symptome zeigen. Von diesen erkrankten Tieren starben 74,8 %. Bei Lämmern kann sie sogar 95% betragen7. Auf die gesamte Herde runtergerechnet sind es ca. 7,5 % aller Tiere, die den Ausbruch nicht überlebten9.

Milde, moderate und schwere BTV-3 Infektionszeichen

Milde BTV-3 Infektionszeichen

  • Schaf zeigt Depression, gebückte Haltung, Unbeholfenheit.

Schaf zeigt Depression, gebückte Haltung, Unbeholfenheit (Foto: Niederländisches Ministerium für Landwirtschaft, Natur, und Lebensmittelqualität)

  • Schaf mit Schwellungen und Schwellungen und Ödeme im Gesicht und an den Lippen.

Schaf mit Schwellungen und Schwellungen und Ödeme im Gesicht und an den Lippen(Foto: Arbovirologie-Gruppe, IAH Pirbright, UK)

  • Schaf mit Rötung des Zahnfleischs und der Maulschleimhaut.

SCHAFM~2(Foto: Gruppe Arbovirologie, IAH Pirbright, UK)

Moderate BTV-3 Infektionszeichen

  • Schaf mit Bindehautentzündung (Rötung des Gewebes um das Auge).

Schaf mit Bindehautentzündung (Rötung des Gewebes um das Auge)(Foto: Gruppe Arbovirologie, IAH Pirbright, UK)

  • Schaf mit Krustenbildung um die Nasenlöcher und Nasenausfluss, ein geschwollenes Gesicht und geschwollene Lippen.

Schaf mit Krustenbildung um die Nasenlöcher und Nasenausfluss, ein geschwollenes Gesicht und geschwollene Lippen(Foto: Gruppe Arbovirologie, IAH Pirbright, UK)

  • Schaf mit Schwellung der Schnauze und des Gewebes zwischen den Kiefern.

Schaf mit Schwellung der Schnauze und des Gewebes zwischen den Kiefern (Foto: Niederländisches Ministerium für Landwirtschaft, Natur, und Lebensmittelqualität)

  • Schaf mit Schwellung und Rötung um das Koronarband des Hufs.

Schaf mit Schwellung und Rötung

(Foto: Gruppe Arbovirologie, IAH Pirbright, UK)

Schwere BTV-3 Infektionszeichen

  • Schaf mit starkem Nasenausfluss und Sabbern.

Schaf mit starkem Nasenausfluss und Sabbern(Foto: Arbovirologie-Gruppe, IAH Pirbright, UK)

  • Schaf mit geschwollenem Gesicht, Lippen, und Zunge. Blau Verfärbung der Zunge.

Schaf mit geschwollenem Gesicht(Foto: Arbovirologie-Gruppe, IAH Pirbright, UK)

  • Schaf mit stark angeschwollener Zunge.

Schaf mit stark angeschwollener Zunge(Foto: Niederländisches Ministerium für Landwirtschaft, Natur, und Lebensmittelqualität)

Wie kann ich meine Schafe vor BVT-3 schützen?

Zunächst geht’s an die Krankheitsauslöser, die Gnitzen. Gnitzen starten ihren Angriff vermehrt in den Abendstunden und nachts. Sie finden ihre Wirte dabei über den Geruchssinn und die Augen. Ausdünstungen und die Silhouetten großer Weidetiere locken sie an. Sie können als ersten, jedoch eher begrenzten Schutz Insekten abwehrende Mittel / Repellentien einsetzen, bzw. die Tiere in einen gut belüfteten Stall bringen. Das ist natürlich bei Schafen nur bedingt umsetzbar.

Im Juni 2024 wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) per Eilverordnung die Anwendung von Impfstoffen gegen den Serotyp 3 der Blauzungenkrankheit erlaubt5. Aktuell (September 2024) empfiehlt die StIKo Vet für alle empfänglichen Wiederkäuer dringend eine Impfung3, eine Impflicht besteht dagegen nicht.

Bei den verfügbaren Impfstoffen handelt es sich um Totimpfstoffe, die nur durch den jeweils bestandsbetreuenden Tierarzt verschrieben, bestellt und angewendet werden dürfen. Aktuell ist ein offiziell zugelassenes Vakzin gegen die Blauzungenkrankheit nicht verfügbar. Die aktuell vorhandenen Vakzine schützen Ihre Rinder jedoch vor schweren Erkrankungen.

Sie brauchen keine Sorge vor der Impfung zu haben, denn die Impfstoffe sind in der Regel so gut verträglich, dass die Tiere durch die Impfung nur geringen Belastungen ausgesetzt sind. Bedenken Sie, dass der Aufbau des Immunschutzes Zeit benötigt, die Sie einplanen sollten. Je nach Vakzin braucht das Immunsystem Ihres Tieres mindestens 21 Tage nach Abschluss der Grundimmunisierung, um einen Schutz aufzubauen. Aus Herden, in denen die Impfung in einen bereits erkrankten Bestand erfolgt, wird berichtet, dass sich das Infektionsgeschehen nach etwa zwei Wochen allmählich zu beruhigen begann.

Impfen im Winter?

Sie lesen diesen Artikel vielleicht gerade bei einem schönen Glas heißen Tee, während draußen nass-kaltes Wetter herrscht, und denken sich vielleicht, Gnitzen sind die Überträger? Die sterben alle im Winter, ich brauch jetzt nicht mehr impfen. Nächstes Jahr ist der Spuk eh wieder vorbei.

Diese Entscheidung wäre fatal, denn das Virus überwintert. So geschah es beispielweise bei dem BTV-8 Ausbruch 2006-2007 in den Niederlanden, wo die größten Auswirkungen der Seuche erst im zweiten Jahr zu beobachten waren.9 Deshalb empfehlt auch die Stiko Vet eine Impfung in den kalten Monaten zum zeitigen Aufbau des Immunschutzes für das Frühjahr.  

Noch ein Tipp zum Abschluss: Denken Sie daran die Impfung im Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere (Hi-Tier) eintragen zu lassen und etwaige Nebenwirkungen an das Paul-Ehrlich-Institut zu melden.

 

Quellen:

1 https://tsis.fli.de/cadenza/ abgerufen am 19.09.2024

2 BTV-3 stand van zaken na 2023: impact en prevalentie. Royal GD, Deventer, NL. 20. Juni 2024. https://www.gddiergezondheid.nl/ abgerufen am 19.09.2024

3 Aktualisierte Stellungnahme zur Impfung empfänglicher Wiederkäuer gegen BTV-3, https://www.openagrar.de/receive/openagrar_mods_00097528, abgerufen am 19.09.2024

4 Boender GJ, Hagenaars TJ, Holwerda M, Spierenburg MAH, van Rijn PA, van der Spek AN, Elbers ARW. Spatial Transmission Characteristics of the Bluetongue Virus Serotype 3 Epidemic in The Netherlands, 2023. Viruses. 2024. 16

5 Pressemitteilung: Anwendung von drei Impfstoffen gegen Blauzungenkrankheit gestattet. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Bonn. 7. Juni 2024. https://www.bmel.de/

6 Verwoerd DW, Erasmus BJ (1994): Bluetongue. In: Coetzer J, Thomson GR, Tustin RC (eds.), Infectious diseases of livestock with special reference to Southern Africa Infectious diseases of livestock with special reference to Southern Africa. Oxford University Press, Cape Town, 443–459

7 Osterrieder K (2021): Blauzungenkrankheit. In: Bostedt H, Ganter M, Hiepe T (Hrsg.), Klinik der Schaf- und Ziegenkrankheiten. Thieme, Stuttgart

8 Eerste impactanalyses BTV-3 uitbraak in Nederland: sterfte op schapen- en geitenbedrijven, https://www.gddiergezondheid.nl/nl/Actueel/Dossiers/Blauwtong

9 van den Brink Katrien M. J. A. (2024) Bluetongue virus serotype 3 in ruminants in the Netherlands: Clinical signs, seroprevalence and pathological findings, Veterinary Record, 2024, Vol 195 (4)

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