Meine Kuh hat eigentlich noch Zeit bis zur Kalbung, ist erst im 7. Monat tragend. Dennoch habe ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Besonders im Liegen wölbt sich aus der Scheide ein rosafarbenes Gebilde hervor. Eine Frühgeburt? Muss ich mir Sorgen machen?
Sicherheitshalber melde ich mich bei meinem Tierarzt. Seine Diagnose: Ein Scheidenvorfall.
Ein Scheidenvorfall kommt nicht von allein!
Im Gegensatz zum Gebärmuttervorfall treten Scheidenvorfälle in der Regel vor der Kalbung auf. Dennoch bedeutet das Auftreten eines Scheidenvorfalles nicht, dass nach der Kalbung das Risiko eines Gebärmuttervorfalles höher ist.
Bei Rindern treten Scheidenvorfälle deutlich häufiger auf als bei Schafen und Ziegen. Zudem scheint es eine genetische Komponente besonders bei Fleischrassen wie Hereford, Charolais und Limousin zu geben2,3.
Allerdings sind auch viele andere Risikofaktoren beschrieben worden4-8:
- Hoher Druck in der Bauchhöhle in der späten Trächtigkeit
- Extrem kalte Wetterbedingungen
- Übermäßiges perivaginales Fett
- Vorangegangene perivaginale Verletzungen (z.B. früherer Geburten)
- Hormonelle Veränderungen (hohe Östrogenspiegel) Erweichung der Beckenbänder
- Vaginalmuskuläre Probleme
- Kalzium und Phosphor-Imbalancen
Was zu tun ist und wie schnell Sie handeln müssen entscheidet die Ausprägung
Beim Vaginalvorfall können vier verschiedene Grade unterschieden werden, die unterschiedlich schnelles Handeln und auch unterschiedliche Arten der Behandlung erfordern:
Grad 1:
Zeitweise auftretendes Hervorschauen von Vaginalschleimhaut durch die Vulva. In der Regel wölbt sich das Gewebe nur etwas vor oder es fällt nur sehr wenig Gewebe aus der Vulva. Zudem ist dies oft nur sichtbar, wenn das Tier liegt.
Grad 2:
Dauerhafter Vorfall von Vaginalgewebe durch die Vulva. Die Blase kann beteiligt sein, das Gewebe trocknet schnell aus und es kann zu Verletzungen kommen.
Grad 3:
Die gesamte Vagina und der Muttermund (Zervix) sind nach außen gewölbt. Hierbei ist die Blase mit betroffen. Bakterien können gegebenenfalls durch eine geöffnete Zervix in die Gebärmutter eindringen und zu Entzündungen oder einem Absterben des Kalbes führen.
Grad 4:
Grad 2 oder 3 bei denen die Dauer der Vorwölbung schon zu Gewebezerstörung (Nekrosen/Fibrosen) geführt hat. Das Gewebe ist in der Regel schon infiziert und Entzündungsprozesse können auf Blase oder sogar Bauchfell übergreifen.
Je mehr Gewebe vorgefallen ist, desto schneller sollten Sie handeln, um die Chancen Ihrer Kuh möglichst hoch zu halten. Die Entstehung von Grad 4 Veränderungen sollte vermieden werden. Deshalb ist es besonders wichtig, dass Sie ab Grad 2 unbedingt Ihren Tierarzt hinzuziehen, um eine Behandlung einzuleiten.
Erste Maßnahmen können Sie ähnlich wie bei einem Gebärmuttervorfall treffen:
- Absondern des Tieres in einer Einzelbucht / Anbinden
- Kühlung und Feuchthaltung des Gewebes mit nassen Handtüchern / Bettlaken
- Fußfesseln anlegen
- Blutungen: Klemmen/Brotdosenclips oder ein Druckverband mit Calciumlösungen
- Gegebenenfalls Kreislauf stabilisieren: Elektrolyttränke/Drench oder Kochsalzinfusion
Mehr zum Gebärmuttervorfall lesen Sie hier: Notfall Gebärmuttervorfall - Warum presst die Kuh nach der Geburt?
Verschiedene Wege führen zum Erfolg
Grundsätzlich ist das Ziel, die Vagina zurückzulagern und sie an Ihrer Position zu halten. Ihr Tierarzt hat verschiedene chirurgische Möglichkeiten dies zu erreichen. Am einfachsten ist das manuelle Zurücklagern und der Verschluss der Schamlippen ähnlich wie bei einem Gebärmuttervorfall mit einem Verschluss nach Bühner. Bei Tieren, die schon mehrfach mit dem Auftreten zu kämpfen hatten, kann auch eine Fixierung der Scheide mittels Haltebändern Sinn machen (Vaginopexie).
Fazit
Ein Scheidenvorfall ist zwar kein so akuter Notfall wie der Vorfall der Gebärmutter. Dennoch kann er zu ernsthaften Komplikationen führen, wenn Sie nicht rechtzeitig handeln. Da es sich um eine Faktorenerkrankung handelt, die auch genetisch begründet sein kann, sollten Sie bei betroffenen Tieren auch über eine Einstufung als „zuchtuntauglich“ nachdenken, insbesondere dann wenn die Erkrankung mehrfach beim gleichen Tier auftritt.
Quellen:
1 Hopper, Richard M., ed. Bovine reproduction. John Wiley & Sons, 2021.
2 Woodward, R. R., and J. R. Quesenberry. "A study of vaginal and uterine prolapse in Hereford cattle." Journal of Animal Science 15.1 (1956): 119-124.
3 Coulthard, H. "Treatment of bovine vaginal prolapse." Veterinary Record (United Kingdom) (1991).
4 Hudson, R. S. "Genital surgery of the cow." Current therapy in theriogenology 2 (1986): 341-352.
5 Roberts, S. "Vaginal prolapse." Veterinary Obstetrics and Genital Diseases (1971): 189-196.
6 Youngquist, R. S. "Surgical correction of abnormalities of genital organs of cows." Current therapy in large animal theriogenology. WB Saunders, Philadelphia (1997): 429-440.
7 Wolfe, D. F., and R. L. Carson. "Surgery of the vestibule, vagina and cervix." Large animal urogenital surgery. Williams and Wilkins, Baltimore (MD), 1998. 398-406.
8 Dhanotiya, R. S., R. K. Srivastava, and R. K. Pandit. "A note on post partum utero vaginal prolapse in Gir cows: estimation of serum calcium, phosphorus, proteins, and cholesterol." Archiv fur Experimentelle Veterinarmedizin 43.1 (1989): 79-80.
Bildquelle: The occurence of vaginal prolapse in sheep and cattle