Kalb krank am Boden liegend

Rindergrippe – haben unsere Kälber ein schwaches Immunsystem?

Dr. Christina Hirsch

·

21.10.2022

·

4 Min. Lesezeit

Werden unsere Kälber krank, weil ihr Immunsystem zu stark oder zu schwach ist?

Die Rindergrippe ist eine der bedeutendsten Erkrankungen beim Kalb. Sie ist auch mit etwa 29 % die häufigste Todessursache bei Jungtieren1.
Obwohl Impfstoffe, antibiotische Arzneimittel und Behandlungsstrategien kontinuierlich weiterentwickelt werden, bleibt die Rindergrippe eine der Hauptursachen für Erkrankungen und Todesfälle bei den Kälbern, aber auch Tierwohlprobleme und wirtschaftliche Verluste gehen auf das Konto der Kälbergrippe.

Nun gibt es neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entstehung und Vermeidung der Rindergrippe.

  • Rindergrippe – für die Entstehung sind nicht allein die Erreger verantwortlich
  • Haben unsere Kälber wirklich ein zu schwaches Immunsystem?
  • Warum reagiert das Kalb mit einer überschießenden Immunreaktion?

Rindergrippe – für die Entstehung sind nicht allein die Erreger verantwortlich

Obwohl Bakterien und Viren einen großen Anteil an der Grippeerkrankung haben und auch regelmäßig bei Proben von Grippekälbern gefunden werden, ist Rindergrippe eine multifaktorielle Erkrankung, die erst durch eine Kombination mehrerer verschiedener Faktoren ausgelöst wird. Denn die Bakterien machen nicht alleine krank und man findet sie auch in gesunden Kälbern.
Welche Faktoren zu einem Ausbruch der Erkrankung führen, lesen Sie in diesem Artikel.

Zusätzlich zu den erwähnten Faktoren, entscheidet auch die Reaktion des Immunsystem des Kalbes über den Verlauf einer Erkrankung. Nun erkranken bei einem Ausbruch der Rindergrippe in einer Kälbergruppe im Normalfall nie alle Tiere. Damit stellt sich die Frage, warum manche Tiere mehr oder weniger betroffen sind.
Bisher ging man davon aus, dass prädisponierende Faktoren (Faktoren, die Tiere besonders empfänglich gegenüber bestimmten Erkrankungen machen) wie Stress, virale Infektionen und negative Umwelteinflüsse dazu beitragen, dass es zum Ausbruch einer Rindergrippe-Erkrankung kommt2. Dadurch lässt sich erklären, warum Mastrinder häufig direkt nach der Vermarktung an Rindergrippe erkranken. Denn in dieser Phase sind die Kälber oft vielen respiratorischen Viren durch das Zusammentreffen mit Kälbern aus verschiedenen anderen Betrieben ausgesetzt. Zeitgleich kämpfen die Kälber oft mit negativen Stressoren wie Transport, Vermarktung, Futterumstellung, schlechten Umweltbedingungen (z. B. Luftqualität und Temperatur), hohen Belegdichten und stressreichen Managementfaktoren wie Enthornung und Impfung3,4. Es wurde bisher angenommen, dass dieser akute Stress das Immunsystem schwächt und sich dieses deshalb nicht ausreichend gegen die Krankheitserreger verteidigen kann.

Haben unsere Kälber wirklich ein zu schwaches Immunsystem haben?

Nein, in der Regel nicht!Tafel mit Aufschrift schwaches Immunsystem

Die überschießende Entzündungsreaktion des Rindes:

Das Rind ist dafür bekannt - anders als andere Lebewesen - mit einer heftigeren Entzündungsreaktion des Immunsystems auf Erreger, die die Lunge befallen, zu reagieren. Diese überschießende Immunreaktion ist für den Heilungsverlauf leider nicht immer förderlich, sondern führt erst zu einer Verstärkung der Symptome.

Wie kann dies sein?
Die Entzündung in der Lunge, die Symptome wie Husten und schnelle Atmung verursacht, wird  hauptsächlich durch die eigene Immunreaktion auf den Erreger verursacht und nicht durch die Erreger selbst. Nach Erkennung des Erregers kommt es zu einer rapiden Aktivierung und Einwanderung von Entzündungszellen in das Lungengewebe. Unter normalen Umständen sollte diese Immunreaktion den Wirt vor den krankheitsauslösenden Erregern beschützen und diese beseitigen. Jedoch kommt es durch eine massive Einwanderung von Entzündungszellen zu erheblichem Platzmangel in der Lunge und zu vermindertem Gasaustausch. Es entstehen dadurch auch Gewebeschäden, die zu Langzeitschäden des Lungengewebes führen. Eine weitere Lungenschädigung entsteht durch Stoffe, die von körpereigenen Entzündungszellen produziert werden und eigentlich gegen Bakterien gerichtet sind. Denn diese Stoffe greifen nicht nur Viren und Bakterien an, sondern schädigen auch körpereigene Zellen5.

eine Muhende Kuh im Stall

Warum reagiert das Kalb mit einer überschießenden Immunreaktion?

Akuter Stress versetzt Immunsystem in Zustand erhöhter Alarmbereitschaft!
Neueste Forschungserkenntnisse weisen darauf hin, dass sich das Immunsystem durch akuten Stress in einem Zustand hoher Alarmbereitschaft befindet und es bei einer Infektion zu einer Überstimulation des Immunsystems kommt. Da unsere Kälber häufig akutem Stress ausgesetzt sind (Transport, Umstallung, Futterwechsel, Enthornung, usw.), reagiert deren Immunsystem nicht mit zu wenig Abwehr. Vielmehr kommt es dann zu einer Überreaktion, so dass die Immunantwort zu heftig ausfällt und auch die Immunprozesse fehlgeleitet ablaufen6.
Sind unsere Kälber chronischem Stress ausgesetzt, dann wird das Immunsystem geschwächt. Zu chronischem Stress führen z. b. schlechte Haltungsbedingungen, mangelhaftes Hygiene- oder Fütterungsmanagement.
Hier finden Sie Tipps zur Verbesserung der Hygiene- und Haltungsbedingungen im Kälberstall. 

Sollen die Kälber gesund bleiben, dürfen sie keinem Stress ausgesetzt werden! Es lohnt sich, das Betriebsmanagement zu überprüfen und Stress für die Kälber zu reduzieren. Denn weniger kranke Kälber bedeuten auch verbessertes Tierwohl, und natürlich weniger Stress und Kosten für den Landwirt!

Quellen:
1 Boissard, V. 2011. Étude de la mortalité bovine en France métropolitaine. Vetagro Sup Thèse vétérinaire n° 105: 70.
2 Caswell, J. L., 2014. Failure of respiratory defenses in the pathogenesis of bacterial pneumonia of cattle. Vet Pathol 51(2), 393-409.
3 Hodgson, P. D., Aich, P., Stookey, J., Popowych, Y., Potter, A., Babiuk, L., Griebel, P. J. 2012. Stress significantly increases mortality following a secondary bacterial respiratory infection. J Vet Res 43(21).
4 Taylor, J. D., Fulton, R. W., Lehenbauer, T. W., Step, D. L., Confer, A. W. 2010. The epidemiology of bovine respiratory disease: What is the evidence for predisposing factors? Can Vet J. 2010; 51:1095:102. PMID:21197200
5 Whiteley, L. O., Maheswaran, S. K., Weiss, D. J., Ames, T. R. & Kannan, M. S. Pasteurella haemolytica A1 and Bovine Respiratory Disease: Pathogenesis. J. Vet. Intern. Med. 6, 11-22 (1992).
6 O’Loughlin, A., McGee, M., Waters, S.M., Doyle, S., Earley, B., 2011. Examination of the bovine leukocyte environment using immunogenetic biomarkers to assess immunocompetence following exposure to weaning stress.

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