Als Mikrobiom bezeichnet man die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die einen Makroorganismus, also einen Menschen oder ein Tier, besiedeln. Im Darm bilden Bakterien den größten Teil der Mikroorganismen, es kommen aber auch Pilze, Viren, Amöben und andere Einzeller vor.
Die vielseitigen Funktionen des Darmmikrobioms sind bei weitem noch nicht alle verstanden. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Bedeutung eines gesunden Darmmikrobioms sowohl beim Menschen als auch beim Tier eine herausragende Bedeutung für die gesunde Entwicklung hat.
Die Besiedlung des Darmes beginnt unmittelbar bei der Geburt. Beim Kalb spielen das Kolostrum und die Transitmilch hierbei eine große Rolle. Dabei sind es nicht die Bakterien im Kolostrum, sondern Inhaltsstoffe wie zum Beispiel Mehrfachzucker, die die „guten“ Bakterien fördern und die „schlechten“ unterdrücken. Studien haben gezeigt, dass die wünschenswerten Bakterien, wie Bifidobakterien und Lactobazillen bei verzögerter Kolostrumgabe in wesentlich geringeren Zahlen im Darm gefunden werden, als bei geburtsnaher Kolostrumverabreichung. Hingegen kann eine Kontaminierung des Kolostrums mit coliformen Keimen die Darmflora eher ungünstig beeinflussen. Also ist es auch in dieser Hinsicht wichtig Kolostrum möglichst sauber zu gewinnen und zu verabreichen. Kolostrum und Transitmilch enthalten auch antimikrobiell wirksame Substanzen, unter anderem Lactoferrin, dass Bakterien an der Vermehrung hindert indem es ihnen Eisen entzieht. Fast alle Bakterien und auch andere Krankheitserreger benötigen nämlich Eisen zur Vermehrung. Das ist vermutlich auch der Grund, warum Kolostrum und Milch recht arm an Eisen sind. In diesem Zusammenhang ist die Empfehlung neugeborenen Kälbern Eisen zu verabreichen kritisch zu sehen. Beim Menschen weiß man, dass orale Eisengaben im Darm die krankmachenden Keime fördern und die gesunden unterdrücken. Auch entwickeln 60 % der Menschen unter oraler Eisensupplementierung gastrointestinale Beschwerden wie Blähungen, Verstopfung oder Darmentzündung. Auch ist es wichtig in diesem Zusammenhang anzumerken, dass die oben genannten „guten“ Bakterien kein Eisen zur Vermehrung benötigen.
Die Zusammensetzung des Mikrobioms unterscheidet sich zwischen Kälbern, die mutterlos aufgezogen werden und solchen, bei denen das Kalb Kontakt zur Mutter hat. Von Lämmern weiß man, dass die Keime des Mikrobioms bei mutterloser Aufzucht eher aus der Scheide der Mutter und aus der Umgebung stammen. Bei normal an der Mutter trinkenden Lämmern gleichen sie eher dem Keimspektrum der Zitzen.
Am besten untersucht sind die Auswirkungen äußerer Einflüsse auf die Ausbildung des Darmmikrobioms natürlich beim menschlichen Säugling. Auch hier zeigen sich deutliche Nachteile bei Kindern, die mit Ersatzmilch aufgezogen werden im Vergleich zu gestillten Säuglingen. Zusammenfassend kann man davon ausgehen, dass die allermeisten gesundheitlichen Vorteile gestillter Kinder auf eine günstige Zusammensetzung des Darmmikrobioms zurückzuführen sind.
Auch Unterernährung stört die Zusammensetzung des Darmmikrobioms nachhaltig. Hier gibt es Untersuchungen von unterernährten Ferkeln, die als Modell für Unterernährung beim Menschen herangezogen werden. Diese Untersuchungen haben gezeigt, dass es längere Zeit und einer sehr ausgefeilten Fütterung bedarf, um wieder ein gesundes Mikrobiom herzustellen. Diese Untersuchungen sind für die Situation unserer Aufzuchtkälber von großer Bedeutung, da hier immer noch ein großer Prozentsatz zum Teil massiv unterernährt werden (Abb. 1).
Abbildung 1: Eine repräsentative Untersuchung von 2020 zeigt, dass in vielen deutschen Milchviehbetrieben Kälber zum Teil hochgradig unterernährt werden.
Natürlich beeinflussen Antibiotika, ganz gleich ob in Form von Behandlungen oder in rückstandshaltiger Milch, das Darmmikrobiom der Kälber. Daher sollte eine antibiotische Therapie nur durchgeführt werden, wenn es absolut notwendig ist und rückstandshaltige Milch hat nichts in der Kälbertränke zu suchen.
Praktische Konsequenzen für die Kälberaufzucht:
- Trennung von Kuh und Kalb: Vermutlich hat ein längerer Verbleib des Kalbes mit Saugen an der Mutter einen positiven Einfluss auf das Darmmikrobiom und dadurch auf die Gesundheit des Kalbes. Das ist natürlich in den allermeisten Milchviehbetrieben noch nicht praktikabel. Wenn die Kälber länger bei der Mutter bleiben muss größtes Augenmerk auf die Kolostrumversorgung gelegt werden, da die Kolostrumqualität unserer Milchkühe in den letzten Jahrzehnten deutlich nachgelassen hat. Das bedeutet, dass die Kälber vermutlich mehr Kolostrum aufnehmen müssen, als es von der Natur programmiert ist.
- Kolostrummanagement: Wird die Kolostrumversorgung von Hand durchgeführt, ist es essentiell, dass die Kuh unmittelbar nach der Kalbung gemolken wird, um Kolostrum bester Qualität zu gewinnen. Auch auf größtmögliche Sauberkeit ist bei der Kolostrumversorgung zu achten. Das Kalb sollte in den ersten zwei Lebensstunden 3, besser 4 Liter frisches Kolostrum der Mutter guter Qualität aufnehmen. Gelingt dies nicht, kann entweder innerhalb der ersten sechs Stunden nochmal getränkt werden, oder eine ausreichende Menge Kolostrum wird mittels Sonde verabreicht. Die Qualität des Kolostrums kann mit Hilfe eines Brix-Refraktometers überprüft werden. Werte über 22 Brix% sprechen für eine gute Qualität, unter 18 Brix% muss von einer schlechten Qualität ausgegangen werden. Für Notfälle sollte eine eingefrorene Kolostrumreserve vorgehalten werden.
- Transitmilchphase: Nach der ersten Kolostrumgabe sollte das Kalb ad-libitum mit dem übrigen Kolostrum, bzw. mit Transitmilch gefüttert werden. Prinzipiell gilt, dass die gesamte Milch, die nicht geliefert werden kann, den Kälbern „gehört“, da sie auch in den nachfolgenten Gemelken noch wertvolle Inhaltsstoffe in erhöhten Konzentrationen enthalten sind.
- Weitere Tränke und Entwöhnung: In den ersten vier bis fünf Wochen sollten Kälber so viel Milch bekommen, wie sie trinken möchten. Dies entspricht im Durchschnitt etwa 20 % der Körpergewichtes des Kalbes in Milch, also braucht ein 45 kg Kalb etwa 9 Liter. Gleichzeitig ist es wichtig bereits ab der ersten Woche schmackhaftes Festfutter und Wasser zur freien Aufnahme anzubieten. Danach erfolgt eine stufenweise sehr langsame Reduktion der Tränkemenge bis zur Entwöhnung nicht vor der zwölften Lebenswoche.
- Milchaustauscher: Umstellung auf Milchaustauscher sollte, wenn überhaupt nötig, so spät wie möglich erfolgen.
- Verabreichung von Eisen: Die Supplementierung von Eisen sollte bei Aufzuchtkälbern bei frühzeitiger Versorgung mit Festfutter nicht nötig sein. Zumindest sollte keine Eisengabe in den ersten zwei Lebenswochen erfolgen.
- Antibiotika: Antibiotische Behandlungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn es nötig ist. Kälberdurchfall ohne Störung des Allgemeinbefindens ist zum Beispiel kein Grund für die Gabe von Antibiotika. Ist eine Behandlung nötig, sollte das Medikament nicht übers Maul gegeben werden sondern als Spritze. Rückstandshaltige Milch soll nicht an Kälber vertränkt werden.