Kuh leckt eine andere Kuh

Pour-on-Präparate zur Entwurmung bei Rindern: Einfach in der Anwendung – riskant in der Wirkung

Dr. Christina Hirsch

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11.06.2025

·

5 Min. Lesezeit

 Was Landwirte über Risiken für Tiergesundheit, Umwelt und Resistenzbildung wissen sollten und warum die einfache Anwendung nicht immer die beste Wahl ist. 

Es ist so einfach: Kanister auf den Rücken schnallen, Dosierung an der Dosierpistole einstellen und entlang der Rückenmittellinie von Widerrist bis Schwanzansatz in einem dünnen Strahl auftragen. Fertig, der Nächste bitte. Wie häufig haben Sie Ihre Rinder, Schafe, Ziegen auf diese Weise schon vor Parasiten geschützt?

Die sogenannten „Pour-on“-Behandlungen haben sich durchgesetzt: Antiparasitika aus der Gruppe der Avermectine wie Ivermectin, Moxidectin, Eprinomectin oder Doramectin werden einfach auf den Rücken des Tieres aufgetragen – ohne Spritzen, Stress oder großen Aufwand. Doch aktuelle Forschung zeigt: Diese scheinbar einfache Methode hat gravierende Nachteile, die sowohl die Tiergesundheit als auch die Umwelt und Lebensmittelsicherheit betreffen können. Besonders Sie als Landwirt sollten da die Ohren spitzen!

1. Pour-on: Hauptaufnahmeweg ist nicht die Haut – sondern das Maul!

Topische – also lokal begrenzte – Entwurmungsmittel aus der Gruppe der Avermectine sollen eigentlich über die Haut ins Tier gelangen. Doch Studien1, 2, 3 zeigen: Zwischen 58 % und 87 % der aufgetragenen Wirkstoffmenge gelangt nicht über die Haut in den Körper, sondern wird durch Lecken aufgenommen – entweder durch das Tier selbst oder durch andere Tiere der Herde – ein ganz normales Sozialverhalten bei Rindern, das Sie täglich im Stall und auf der Weide sehen. 

Nur etwa 10 % der Dosis wird tatsächlich über die Haut aufgenommen. Das bedeutet: Der größte Teil der Wirkung entsteht durch eine ungeplante orale Aufnahme, was die Dosierung hochgradig ungenau und unvorhersehbar macht.

2. Hohe Ausscheidung über den Kot – eine unsichtbare Umweltbelastung

Durch das Ablecken wird der Wirkstoff wie bei einer normalen Fütterung über den Verdauungstrakt aufgenommen. Dabei kommt es zu einem entscheidenden Unterschied: Ein Großteil des Wirkstoffs wird unverändert über den Kot wieder ausgeschieden2, z.B. gelangen bei Ivermectin bis zu 72 % des Wirkstoffs unverändert in den Kot. Zum Vergleich: Nach Injektion liegt dieser Wert deutlich niedriger.

Warum ist das ein Problem?

  • Avermectine sind sogenannte Breitband-Endektozide, die nicht nur innere Parasiten abtöten, sondern auch eine starke Wirkung auf Insekten und andere wirbellose Tiere haben.
  • Gelangen sie in den Kot, wirken sie dort toxisch auf Dungkäfer, Fliegenlarven und andere Zersetzerorganismen, die für den Abbau von Tierexkrementen auf der Weide unerlässlich sind.
  • Das Ergebnis: Verzögerte Zersetzung des Mists, schlechtere Nährstoffverwertung auf der Fläche, geringere Bodenfruchtbarkeit, und Rückgang der Biodiversität.

In mehrfacher Hinsicht wird hier also die ökologisch wertvolle Dungfauna geschädigt – mit direkten Folgen für das Weidemanagement und die Bodenqualität.

3. Ungenaue Dosierung und soziale Effekte: Ein riskantes Spiel 

Ein weiteres Problem ist die starke Schwankung der aufgenommenen Wirkstoffmenge:

  • Durch unterschiedliches Leckverhalten nimmt jedes Tier eine unterschiedliche Menge an Wirkstoff auf.
  • Selbst bei Zwillingsrindern in wissenschaftlichen Studien1 war der Unterschied in der Bioverfügbarkeit bis zu 70 %
  • Tiere, die gar nicht behandelt wurden, können trotzdem Wirkstoff aufnehmen, wenn sie andere Tiere lecken – sogenannte Kreuzkontamination.
  • Das kann zu unerwünschten Rückständen in Fleisch und Milch führen – auch bei eigentlich „unbehandelten“ Tieren.

Die orale Aufnahme ist also nicht kontrollierbar. Das widerspricht dem Ziel einer gezielten und verantwortungsvollen Medikamentengabe in der Tierhaltung.

4. Ein Nährboden für Resistenzen

Ein entscheidender Punkt für die langfristige Tiergesundheit ist die Frage der Wirkstoffresistenz:

  • Pour-on-Präparate führen durch die unkontrollierte Dosierung dazu, dass manche Tiere zu wenig Wirkstoff erhalten.
  • Parasiten, die diese Unterdosierung überleben, können Resistenzen entwickeln.
  • Studien zeigen: Pour-on-Produkte sind besonders geeignet, solche Resistenzen zu fördern – insbesondere bei systematischer Anwendung in der gesamten Herde.

Zudem wird mit Pour-on-Präparaten die selektive Behandlung unmöglich gemacht: Wer auf der Weide alle Tiere gleichermaßen behandelt, kann nicht mehr gezielt eingreifen. Das Konzept der „Targeted Treatment“ – also nur jene Tiere zu behandeln, die es wirklich brauchen – ist damit nicht umsetzbar.

 5. Die „Dose and Move“-Strategie ist überholt

Früher galt es als sinnvoll, Tiere nach der Behandlung sofort auf eine neue, saubere Weide zu bringen („dose and move“). Doch auch diese Strategie ist heute nicht mehr empfehlenswert, denn:

  • Sie begünstigt die vollständige Eliminierung empfindlicher Parasitenstämme.
  • Zurück bleiben resistente Parasiten, die sich ungestört vermehren können.
  • Das Risiko einer schnellen Resistenzbildung steigt deutlich.

Stattdessen empfiehlt man heute, mindestens 20 % der Tiere unbehandelt zu lassen – bevorzugt solche mit geringer Parasitenlast und ohne klinische Symptome. Diese Tiere tragen noch empfindliche Parasiten in sich, die sich mit resistenten Stämmen „mischen“ und so die Resistenzentwicklung im Bestand verlangsamen.

Doch: Diese selektive Strategie ist bei der Anwendung von Pour-on Präparaten praktisch nicht umsetzbar.

Denn durch soziales Belecken nehmen auch unbehandelte Tiere erhebliche Mengen des Wirkstoffs auf – ohne dass man dies kontrollieren oder verhindern kann. Dadurch sind auch sie faktisch behandelt – nur eben ungeplant und unkontrolliert. Eine gezielte Selektion, wie sie für nachhaltiges Parasitenmanagement wichtig wäre, ist somit nicht möglich, wenn Pour-on Produkte zum Einsatz kommen.

Mehr zu der selektiven Entwurmungsstrategie lesen Sie hier: "Ein Refugium für Parasiten - Refugia als selektive Behandlungsstrategie""Antiparasitikaresistenz vermeiden - die Refugia-Strategie bietet Ausweg".

Was bedeutet das für die Praxis auf dem Betrieb?

  • Verzicht auf Pour-on Präparate, wo möglich

Nutzen Sie besser injizierbare Produkte, deren Dosierung sicherer ist. Ihr Tierarzt steht Ihnen gern mit Rat und Tat beiseite.

  • Gezielte Entwurmung statt pauschaler Behandlung

Setzen Sie auf Diagnostik: Kotuntersuchungen (z. B. Eizahlreduktionstests) geben Auskunft über tatsächlichen Wurmbefall.

  • Gefahr von Rückständen

Auch unbehandelte Tiere können Rückstände aufweisen, wenn sie mit behandelten Tieren Kontakt haben. Das ist besonders in der Milchproduktion relevant.

  • Schutz der Umwelt

Reduzieren Sie die Belastung der Weideflächen durch Wirkstoffausscheidungen. Der Schutz der Dungfauna ist essenziell für gesunde Böden.

Fazit: Weniger ist mehr – gezielte, verantwortungsvolle Entwurmung ist der Schlüssel

Die Pour-on Behandlung ist bequem – aber riskant. Wer die Gesundheit seiner Herde sichern, die Umwelt schonen und nachhaltig wirtschaften will, sollte auf kontrollierte, gezielte und selektive Strategien setzen.

Sprechen Sie mit Ihrem Tierarzt oder Ihrer Tierärztin über den Aufbau eines Entwurmungskonzepts mit gezielter Selektion. Weniger Medikamente – aber richtig eingesetzt – bringen oft mehr Nutzen bei weniger Risiko.

In unserer Arbeitsanleitung erfahren Sie zudem mehr zur Anwendung und Umsetzung der Refugia-Strategie.

 

 Quellen: 

1 Laffont CM, Alvinerie M, Bousquet-Mélou A, Toutain PL. Licking behaviour and environmental contamination arising from pour-on ivermectin for cattle. Int J Parasitol. 2001 Dec;31(14):1687-92. doi: 10.1016/s0020-7519(01)00285-5. PMID: 11730797.

2 Herd RP, Sams RA, Ashcraft SM. Persistence of ivermectin in plasma and faeces following treatment of cows with ivermectin sustained-release, pour-on or injectable formulations. Int J Parasitol. 1996 Oct;26(10):1087-93. PMID: 8982789.

3 Laffont CM, Bousquet-Mélou A, Bralet D, Alvinerie M, Fink-Gremmels J, Toutain PL. A pharmacokinetic model to document the actual disposition of topical ivermectin in cattle. Vet Res. 2003 Jul-Aug;34(4):445-60. doi: 10.1051/vetres:2003014. PMID: 12911861.

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