„Sie frisst nicht, sie liegt nur rum“ – Wie du Schmerzen bei deinen Kühen frühzeitig erkennst

Inga Oestereich

·

17.06.2025

·

5 Min. Lesezeit

Du kennst das sicher: Eine deiner Kühe steht irgendwie anders da, frisst nicht richtig oder meidet den Futtertisch sogar. Vielleicht denkst du: „Die ist halt heute ein bisschen schlapp.“ Doch was, wenn das ein stiller Schmerzensschrei ist?

Kühe sind Meister im Verbergen von Schmerzen. Als Fluchttier schützt sie das vor Fressfeinden – im Stall macht es dir das Leben schwerer. Denn Schmerzen früh zu erkennen, bedeutet: schneller handeln, Leiden lindern, Leistung sichern. 

In diesem Beitrag zeige ich dir, worauf du achten musst, um Schmerzen bei deinen Kühen zuverlässig zu erkennen und was konkrete Schmerzanzeichen sein können. Zudem bekommst du alltagsnahe Tipps zur Schmerzerkennung und lernst, warum dein Bauchgefühl manchmal recht hat – aber Beobachtung noch besser ist.

Warum es so schwer ist, Schmerzen bei Kühen zu erkennen

Kühe zeigen Schmerz nicht wie wir Menschen. Kein lautes Brüllen, keine Tränen. Stattdessen verändern sie Verhalten, Körperhaltung und Ausdruck – oft subtil, aber messbar.

Wissenschaftliche Studien und Praxiserfahrungen belegen: Schmerz ist einer der häufigsten Gründe für Leistungseinbußen, Fruchtbarkeitsprobleme, vermehrte Abgänge und erhöhte Tierarztkosten. Trotzdem wird er in der Praxis oft übersehen oder zu spät erkannt.

Der Hauptgrund? Du hast viel um die Ohren – und die Anzeichen sind nicht immer offensichtlich. Doch genau hier setzt gutes Herdenmanagement an.

Die wichtigsten Anzeichen für Schmerzen bei Kühen

  1. Verändertes Allgemeinverhalten
  • Frisst weniger oder gar nicht
  • Weniger Wiederkauen
  • Verminderte Pansenfüllung erkennbar
  • Abseits von der Herde, zieht sich zurück
  • Weniger oder keine Aktivität

Diese Veränderungen zeigen sich oft schon Stunden oder Tage, bevor es „ernst“ wird.

  1. Körperhaltung und Bewegung
  • Gewichtsverlagerung (z. B. bei Klauenschmerzen)
  • Hohlrücken oder aufgekrümmter Rücken
  • Hinken oder zögerliches Gehen
  • Häufiges Liegen oder gar nicht mehr aufstehen wollen

Schon eine leicht gekrümmte Rückenlinie beim Stehen oder langsames, mühsames Aufstehen kann ein Hinweis sein.

  1. Gesichtsausdruck und Ohren
  • Herabhängende und kalte Ohren
  • Leicht zusammengekniffene Augenlider
  • Tiefliegende Augen
  • Starre Mimik („Pain Face“) und Zähneknirschen
  • Wenig Neugier

In einer Studie2 zeigten Kühe mit Schmerzen messbare Veränderungen im Gesicht – ähnlich wie bei Menschen oder anderen Säugetieren. Dieser sogenannte „Facial Action Coding Score“ ist in Versuchen mit Lämmern, Pferden und jetzt auch Rindern standardisiert worden.

  1. Stimmverhalten
  • Meist leiser – nicht lauter!
  • Gelegentliches, leises Brummen oder Stöhnen beim Aufstehen 

Ein „lautes Muhen“ ist übrigens eher ein Mythos – Schmerz macht still.

Wirtschaftliche Auswirkungen von Schmerzen bei Milchkühen

Neben dem Aspekt des Tierschutzes hat Schmerz auch einen Preis. Aus physiologischer Sicht verursachen Schmerzen Stress, der durch die Freisetzung von Cortisol aus den Nebennieren gekennzeichnet ist. Cortisol hat eine immunsuppressive Wirkung und macht die Tiere daher anfälliger für Sekundärinfektionen. In ähnlicher Weise bewirken Schmerzen einen Rückgang der Sekretion von luteinisierendem Hormon (LH). Dies führt zu einem Rückgang der Fruchtbarkeit. Schließlich bewegt sich ein Tier mit Schmerzen weniger zum Futtertrog. Die reduzierte Futteraufnahme wirkt sich negativ auf die Leistung aus.

Mehrere wirtschaftliche Studien haben den Leistungsverlust aufgezeigt. So wird beispielsweise bei Lahmheiten die Verringerung der Futteraufnahme je nach Schweregrad auf 3 bis 16 % geschätzt. Infolgedessen kann die Milchproduktion um bis zu 36 % zurückgehen. Außerdem kommt es zu einer Verschlechterung der Fruchtbarkeit und einem höheren Risiko von frühen Abgängen. Eine Untersuchung4 ergab, dass ein Fall von Lahmheit zwischen 100 und 300 Euro kostet.

Das Abkalben, insbesondere eine Schwergeburt, ist ebenfalls eine schmerzhafte Erfahrung für Kuh und Kalb. Jüngste Studien haben gezeigt, dass unbehandelte postpartale Schmerzen zu einem Rückgang der Milchproduktion um 611 kg in den 305 Tagen der Laktation führten1. Ebenso neigten unbehandelte Kühe dazu, 22 Tage später trächtig zu werden als mit einem Schmerzmittel behandelte Tiere. Bei den Kälbern führte die medizinische Behandlung der Schmerzen, die durch das unterstützte Abkalben ausgelöst wurden, zu einer höheren durchschnittlichen täglichen Gewichtszunahme bis zum Absetzen (+0,1 kg/Tag). Weibliche Kälber, die auf diese Weise behandelt wurden, waren früher brünstig und wurden folglich in einem jüngeren Alter besamt. 

Schmerzskalen und Checklisten: Praktische Werkzeuge für den Alltag

Es gibt inzwischen erprobte Hilfsmittel zur Schmerzerkennung, die du im Alltag nutzen kannst – ohne viel Aufwand:

  • Schmerzbeobachtungsbogen (hier als Download in 5 Sprachen verfügbar): Einfach anwendbar, besonders für Klauenprobleme oder Nachgeburtsverhalten.
  • Pain Scoring Tools aus der Forschung (z. B. wie in der Studie von Adcock & Tucker, 2020 beschrieben: Sie bewerten Mimik, Haltung und Aktivität in einer strukturierten Skala.)
  • Monitoring-Systeme: Sensoren erkennen Bewegungsänderungen frühzeitig – als Ergänzung, nicht als Ersatz deiner Beobachtung.
  • App „Fit for Cows: zeigt mit Bildern und Videos, wie du Schmerzen bei Rindern erkennen kannst

Mein Tipp: Häng dir eine laminierte Kurzcheckliste in den Pausenraum hängen oder die Umkleiden. So erinnerst du dich und deine Mitarbeiter regelmäßig daran, gezielt hinzuschauen.

Schmerzerkennung

Abbildung 1. The Cow Pain Scale (Gleerup 2017 in WCDS Advances in Dairy Technology (2017) Volume 29: 231-239)

Was tun, wenn du Schmerzen vermutest?

Wenn du dir bei einer Kuh nicht sicher bist, beobachte sie gezielt über 24 Stunden. Mach dir Notizen: Frisst sie, wie liegt sie, wie oft steht sie auf?

Lieber einmal zu viel den Tierarzt rufen, als zu spät. Denn unbehandelte Schmerzen führen nicht nur zu Tierleid, sondern oft auch zu Langzeitschäden und wirtschaftlichen Verlusten.

Zusätzlich kannst du mit deinem Bestandstierarzt besprechen, wann und wie du Schmerzmittel gezielt einsetzen kannst. Moderne Medikamente sind gut verträglich und wirken schnell – für dich ein wichtiges Werkzeug im betrieblichen Gesundheitsmanagement.

Fazit: Schmerzerkennung beginnt mit deiner Aufmerksamkeit

Blogger mit Stallstiefeln weiß ich: Du bist der wichtigste Sensor im Stall. Deine tägliche Beobachtung ist durch nichts zu ersetzen. Es braucht keine High-Tech, um Schmerz zu erkennen – sondern ein geschultes Auge, ein offenes Ohr und ein bisschen System.

Also: Wenn dir eine Kuh „komisch“ vorkommt – bleib dran. Frag dich: Frisst sie? Liegt sie anders? Hinkt sie leicht? Zeigt sie Schmerzen? 

Denn wer Schmerzen erkennt, bevor es zu spät ist, schützt seine Kühe – und seinen Betrieb.

Neugierig geworden? Lade dir hier die Arbeitsanleitung zur Schmerzerkennung bei Kühen herunter. Sprich deinen Tierarzt auf Schulungen für dich und deine Mitarbeiter an – es lohnt sich.

 

Quellen:

Gladden, N. L. (2021). Bovine parturition: welfare and production implications of assistance and ketoprofen analgesia (Doctoral dissertation, University of Glasgow).

Gleerup, K. B., Andersen, P. H., Munksgaard, L., & Forkman, B. (2015). Pain evaluation in dairy cattle. Applied Animal Behaviour Science, 171, 25-32.

Gleerup, K. B., Forkman, B., Otten, N. D., Munksgaard, L., & Andersen, P. H. (2017). Identifying pain behaviors in dairy cattle. WCDS Adv Dairy Technol, 29, 231-239. 

Ózsvári, L. (2017). Economic cost of lameness in dairy cattle herds. J. Dairy Vet. Anim. Res, 6(2), 283-289.

Artikel zu ähnlichen Themen

Keinen Blogpost mehr verpassen mit unseren Newsletter.