Rinder im Sonnenuntergang

Geimpft und trotzdem Kälberflechte?  Dr. House und ich

Angelika Schulz

·

21.01.2021

·

4 Min. Lesezeit

Als ich neulich mit Hannes am Telefon sprach, erzählte er mir verärgert davon, dass er seine Kälber für viel Geld gegen Rinderflechte geimpft hatte – und jetzt sei alles noch viel schlechter.

„So ein Drecksimpfstoff, das Geld hätte ich mir sparen können!“ waren seine genauen Worte.

Als ich später am Abend darüber nachdachte, wollte ich ihm Recht geben, doch dann erinnerte ich mich an mein erstes Praktikum als Tiermedizin-Studentin. Dieses durfte ich bei Peter im Allgäu verbringen.
Voller Stolz auf mein schon angehäuftes theoretisches Wissen und mit großem Elan begann ich es.

Einer unserer ersten Besuche führte uns zu Sepp und seinen Nebenerwerbsbetrieb. Er empfing uns schon ganz aufgeregt an der Stalltür mit den Worten: „Was ist da denn passiert, wir haben doch vor 2 Tagen die Kälber mit dem Pilz geimpft - jetzt sind es noch mehr geworden. Warum ist das denn so?“

Peter sah mich an und sagt: „Na, Frau Kollegin, was fällt Ihnen dazu ein?“

Ich sah ihn mit großen Augen an und wusste keine Antwort. Alles was mir vom Studium bisher bekannt war: Impfung = Schutz vor Infektion.

Wenn es Sie auch interessiert, was für Gründe es gibt, warum eine Impfung nicht den erwünschten Erfolg bringt, nenne ich Ihnen in diesem Beitrag einige.lustige Kuh im Freien mit Blick nach unten in die Kamera

Schutzwirkung des Impfstoffes

„Na, überleg mal – hat ein Impfstoff eine 100%ige Wirksamkeit?“ waren Peters nächste Worte.

Stimmt, Impfstoffe müssen bei der Zulassung ja ihre Wirksamkeit beweisen- unter 90% bekommt man eigentlich selten eine Zulassung im Veterinärbereich.

Kleine Überlegung zwischendurch - ein Covid-19-Impfstoff mit höchstens 75% Wirksamkeit, d.h. 25 von 100 geimpften Menschen haben keinen Impfschutz - wird als sicher bewertet…

Aber zurück zum Thema: 
Es wird also immer vorkommen können, dass einzelne Tiere erkranken, obwohl alles so gelaufen ist, wie es sollte.

Und Peter machte weiter: „Damit sind wir beim nächsten Punkt."

Impfwürdigkeit des Tieres

Unter Impfwürdigkeit versteht man, dass das Immunsystem in der Lage ist, auf den Impfreiz eine Immunantwort zu bilden. Dafür muss das Tier gesund sein.
Es wird immer wieder vorkommen, dass das Immunsystem durch eine akute oder latente Infektion nicht in der Lage ist, einen ausreichenden Schutz aufzubauen.

Speziell in Fällen, bei dem man dem Tier (noch) nicht ansieht, dass es krank ist – ist trotzdem das Immunsystem schon mit der Abwehr der Infektion beschäftigt. Dadurch schafft es nicht auch noch die zusätzliche Arbeit, auf das Antigen (Wirkstoff im Impfstoff) korrekt mit der Produktion von Antikörpern etc. zu antworten.
Im Kuhstall sind das speziell BVD/MD, aber auch andere Erkrankungen.

Fehler (?) des Impfstoffes

Jeder Impfstoff muss, um zugelassen zu werden, seine Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachweisen.
Zusätzlich wird auch jede neu produzierte Charge noch einmal geprüft, bevor sie freigegeben wird. Da es aber nichts gibt, was es nicht gibt: Es kann theoretisch auch danach nochmal zu einer Veränderung im Impfstoff kommen, die zu einer unzureichenden Wirkung führt.

Für diesen Fall stehen aber immer Rückstellproben zur Verfügung, die man testen kann.
Bei den hohen Auflagen und Anforderungen geschieht dies aber sehr selten.

Einsetzen der Immunität

Auch ist es nicht so, dass heute geimpft, bedeutet, morgen geschützt.
Manche Impfstoffe kommen mit einer Impfung aus, andere brauchen zwei.
Aber egal, wie oft geimpft wird - eine Immunität ist immer erst nach einer gewissen Zeit - im Fall von Rinderflechte sind es ca. 2 Wochen - nach der letzten Impfung aufgebaut.
Eigentlich logisch, bei den komplizierten Vorgängen, die da im Körper ablaufen, muss es ja einige Zeit dauern.

Der tierische Faktor

Ein Problem haben wir oben schon genannt - die Gesundheit des Tieres.
Aber es kommen noch andere Faktoren hinzu, die einzelne Tiere außerstande setzen, einen Impfschutz aufzubauen:

  • Stress (Trennung von der Mutter; Transport; Stallwechsel; Gruppenänderung, u.a.)
  • Stallklima – Temperatur, Belüftung
  • Fütterung
  • Überbelegung
  • Hormone

Individuen reagieren sehr unterschiedlich auf solche Umweltfaktoren, für manche reichen diese aus, um das Immunsystem zu schwächen.

Der menschliche Faktor

Jeder Impfstoff verlangt einen korrekten Einsatz:

  • Saubere Entnahme
  • Sauberes Equipment (Spritzen, Kanülen etc.)
  • Richtige Menge (im Tier) – nicht immer einfach bei sich bewegenden Tieren
  • Richtige Applikation –wie im Beipackzettel angegeben (intramuskulär, subkutan, intradermal, intranasal)
  • Richtige Aufbewahrung: bei richtiger Temperatur im Kühlschrank
  • Haltbarkeit – nach Anstich nur eine gewisse Zeit, danach muss der Impfstoff vernichtet werden
  • Jedes Tier in der Gruppe
  • Richtiger Zeitpunkt (bei latenten Infektionen erhöhe ich durch die Impfung den Druck auf das Immunsystem)
  • Einhalten der Abstände zwischen den Impfungen

Rinder mit Rinderflechte am Fressgitter

Andere Erkrankung?  „Differentialdiagnosen“

Bei Flechte-Verdacht müssen wir immer daran denken, dass auch parasitäre Erkrankungen der Haut ähnlich aussehen können.
Es besteht die Möglichkeit, dass beide nebeneinander vorkommen (wer war zuerst da, Huhn oder Ei?).
Auch können sich Bakterien die Gunst der Stunde zunutze machen und in die geschädigte Haut eindringen - was als Flechte begann, wird zur Staphylokkken-Infektion…

Hier endet meine Erinnerung an damals, ich weiß nur noch, dass mir im Nachhinein alles logisch und klar vorkam. Warum war ich nicht von alleine darauf gekommen??Bild schwarz weiß von einem Rind mit Blick in Kamera

Dr. House und die (Tier-)Medizin als kriminalistisches Puzzle

Aber es ist nun einmal so, Medizin ist keine exakte Wissenschaft und spätestens seit Dr. House wissen wir, dass die Diagnosefindung spannend wie ein Kriminalfall sein kann. Genauso wie die Ursachenforschung für einen fehlenden Impferfolg.

Also rief ich am nächsten Abend Hannes zurück, um mit ihm gemeinsam die Gründe für das „Impfstoffversagen“ zu finden. Ich war schon gespannt, was wir wohl herausbekommen würden.

Als ich auf seine Flechte-Impfung zu sprechen kam und gerade anfangen wollte, Detektiv zu spielen unterbrach er mich, verlegen lachend:

„Da habe ich wohl zu voreilig auf den Impfstoff geschimpft… Mein Vater ist für die Kälber zuständig. Er trägt die Impfungen immer im Kalender ein, damit wir es dann in den Computer übertragen können. Dummerweise war Corona-bedingt der Impfstoff nicht lieferfähig und es konnte nicht geimpft werden. Aber er hat vergessen, die Termine wieder zu streichen...“

Ja, manchmal ist die Antwort auf die Frage nach dem warum einfacher, als erwartet.

Artikel zu ähnlichen Themen

Keinen Blogpost mehr verpassen mit unseren Newsletter.